Viertes Kap. Bezieh. d. Staatslehre z. Gesamtheit d. Wissenschaften. 73
leiblichen und geistigen Zustände der Menschen und deren Wirken
auf die Außenwelt, und sie werden nur erschlossen durch Kennt-
nisse, die an sich außerhalb der Wissenschaft vom Staate liegen.
So ist z. B. eine der wichtigsten Aufgaben, die dem Staate der
neueren Zeit zugewachsen ist, eine umfassende rationelle öffent-
liche Gesundheitspflege. Eine solche kann jedoch nur auf Grund
einer wissenschaftlichen Hygiene betrieben werden, die aber-
keineswegs deshalb dem Gebiet der Staatswissenschaften zuzu-
weisen ist. Die Staatsverwaltung hat es mit allen Äußerungen des
Gemeindaseins zu tun. Darum bedarf eine vollendete Lehre von
der Verwaltung einer genauen Kenntnis der Zustände des Volks-
lebens, die ihr nicht von der Staatslehre zuteil werden kann.
In noch höherem Maße als die theoretische Staatslehre ist die
Politik in ihrer Richtung auf jenes Volksleben von allseitiger,
umsichtiger und einsichtiger Verwendung eines sehr großen Teiles
der wissenschaftlichen Erkenntnis ihrer Zeit abhängig.
So muß denn die Lehre vom Staate sowohl die Resultate
der anderen Wissenschaften berücksichtigen als auch sich der
Verbindungsglieder bewußt sein, die von: den anderen Wissen-
schaften zu ihr hinüberführen. Dabeı ist ein Doppeltes zu be-
achten.
Einmal die Selbständigkeit der Staatswissenschaften. Die
Staatswissenschaft ist weder Naturwissenschaft noch Psychologie,
Ethik oder Ökonomik. Alle Versuche, die Staatswissenschaft in
eine andere aufgehen zu lassen, beruhen auf unklarem Denken
und sind daher energisch zurückzuweisen. Weil der Staat eine
natürliche, psychische, ethische, ökonomische Seite aufweist, ist
er mit nichten ausschließlich Gegenstand jener Disziplinen. Denn
das Spezifische in ihm, das ihn von allen anderen Erscheinungen
unterscheidet, die mannigfaltigen Herrschaftsverhältnisse können
durch andere Wissenschaften in ihrem eigentümlichen, sie von
anderen Gemeinverhältnissen unterscheidenden Wesen nicht er-
klärt werden. Aber Grund, Voraussetzung, Zweck, Wirkung dieser
Verhältnisse, deren geeinte Kenntnis. eine Totalansicht vom Staate
vermitteln soll, die uns also lehren, was der Staat seinem nur
ihm eigentümlichen Wesen nach ist, zu ermitteln, das ist Auf-
gabe jener zusammenfassenden Erkenntnisweise. Vom Standpunkt
anderer Wissenschaften aus können daher die Ergebnisse der
Staatslehre ergänzt oder kritisiert, aber nicht geändert werden.
So mag der Ethnograph, der Psycholog, der Soziolog uns noch