80 Erstes Buch. Einleitende Untersuchungen.
sind allein aus der Verschiedenheit der sozialen Verhältnisse, die
oft große Übereinstimmung aufweisen, nicht zu erklären. So ist
denn ohne Einsicht in die ethnischen Unterschiede ein volles
Verständnis der Verschiedenartigkeit der Staatenwelt nicht zu
gewinnen!).
Diese physischen, für den Staat bedeutsamen Unterschiede
sind aber stets psychisch vermittelt. Sıe haben daher alle eine
geistige Seite, deren Erforschung nicht der Naturwissenschaft an-
gehört. Somit zeigt uns die Betrachtung der somatischen, anthro-
pologischen und ethnologischen Verhältnisse den Übergang zu den
folgenden Erörterungen an.
III. Das Verhältnis der Staatslehre zu den übrigen
Geisteswissenschaften.
l. Die Beziehungen der Staatslehre zur Psychologie
und Anthropologie.
Die staatlichen Vorgänge sind insgesamt menschliche Hand
lungen und Wirkungen menschlichen Handelns. Alles Handeln
ist aber psychische Tätigkeit. Daher ist die Psychologie,
Y, Hierhergehörige Untersuchungen aus der neuen Literatur richtung-
gebend zuerst bei Gobineau Essai sur l’inegalit& des races humaines
I—IV 2.ed. 1884; sodann z.B. bei Letourneau La sociologie d’apres
Yethnographie 1880 1.IV ch. VI-VIH; Peschel Völkerkunde 3. Aufl.
1880 S. 247ff.; Ratzel Völkerkunde 2. Aufl. 1894 S. 121ff.; Vierkandt
Naturvölker und Kulturvölker 1896 S.310f£.; Schmoller Grundriß der
allg. Volkswirtschaftslehre I, 7.—10. Taus. 1908 S. 140£f. (mit zahlreichen
Literaturangaben); Woltmann Politische Anthropologie 1903; Methner
Organismen und Staaten 1906 S.80ff.,, 122; Ed.Meyer Geschichte des
Altertums Il 3.Aufl. 1910 S.73; Gumplowicz Der Rassenkampf
2. Aufl. 1909. Einen eingehenden kritischen Überblick über diese Theorien
gibt Friedrich Hertz, Moderne Rassentheorien 1904. Vgl. auch die be-
sonnenen Ausführungen von Lindner Geschichtsphilosophie S.89Iff.
So sehr die Scheidung der somatischen von den historischen Ursachen
des Völkerlebens theoretisch gefordert werden muß, so wenig sichere
Resultate hat die Wissenschaft in dieser Hinsicht bisher aufzuweisen.
Nicht einmal über die Frage der Veränderlichkeit der Rassenmerkmale
herrscht irgendwie Übereinstimmung und damit über das Maß der Ein-
wirkung der historisch-sozialen Faktoren auf. Bildung und Umbildung der
Rassen. Daher bieten sich die zahlreichen anthropologischen und ethno-
logischen Hypothesen jedem, der seinen politischen und sozialen Velleitäten
ein wissenschaftliches Mäntelchen umhängen will, zur beliebigen Aus-
wahl an.