Full text: Allgemeine Staatslehre

102 Erstes Buch. : Einleitende Untersuchungen. 
mittel der modernen Technik an Sicherheit und Schnelligkeit un- 
endlich gewonnen. An der Nivellierung der sozialen Schichten 
und damit an der Demokratisierung der staatlichen Institutionen 
haben die technischen Fortschritte bedeutenden Anteil. Durch 
sie sind die Verbreitung von Bildungsmitteln in den weitesten 
Volksschichten, internationale Freizügigkeit in großem Umfange, 
Annäherung räumlich getrennter Staaten aneinander, Steigerung 
des Handels, um nur einige soziale Tatsachen von politischer Be- 
deutung zu nennen, hervorgerufen worden. Nicht minder wirken 
Wissenschaft, Literatur und Kunst, selbst wenn sie 
auch keinerlei politische Zwecke zu verfolgen scheinen, auf 
manche Seiten des Staatslebens ganz energisch ein. Da sie einen 
Teil der Atmosphäre bilden, in welcher die Organe des Staates 
leben, äußert sich ıhr Fortschritt auch in dem Wechsel der An- 
schauungen dieser. Man denke nur an den Einfluß der Auf- 
klärung des 18. Jahrhunderts auf die staatlichen Reformen jener 
Zeit, an die Bedeutung des Einflusses, den politische und öko- 
nomische Schriftsteller unserer Zeit auf die Gestaltung herr- 
schender Parteien genommen haben. Die Wirkung des Staates 
auf jene geistigen Mächte aber hat in der Gegenwart in typi- 
scher Weise die Gestalt des größten deutschen Staatsmannes ge- 
zeigt, dessen politisches Schaffen dem Geistesleben der deut- 
schen Nation neue Richtungen gegeben hat. Alle Erkenntnis auf 
diesem Gebiete ist aber konkret-individuell; irgendwelche all- 
gemeine Regeln lassen sich aus ihr nicht ableiten. 
3. Die Gesamtheit der sittlichen, religiösen, literarischen, wirt- 
schaftlichen Anschauungen erzeugt die öffentliche Meinung 
eines kleineren oder größeren Kreises!). Sıe kann schlechtweg als 
die Ansicht der Gesellschaft über Angelegenheiten sozialer und 
politischer Natur bezeichnet werden. Sie kann einheitlicher Art 
  
1) Gründliche Untersuchungen über diese wichtige, aber schwer zu 
fassende soziale Erscheinung #ind selten. Aus der deutschen Literatur 
sind namentlich Fr. J. Stahl Staatslehre 5. Aufl. S$ 136ff. (2. Aufl. 1846 
S.374ff) und v.Holtzendorff Wesen und Wert der öffentlichen 
Meinung 1879 hervorzuheben. Vgl. auch die Ausführungen vonSchmoller 
Grundriß I S.14, von v.Schubert-Soldern in der Zischr. f.d. ges. 
Staatswissenschaft LXV] 1910 S. 615£f., von H. Kraus in der Festschrift 
für v. Liszt 1911 S. 148ff. und von A. Christensen Politik und Massen- 
moral 1912 S.99ff. Eingehende sozialpsychologische Untersuchung der 
einschlägigen Phänomene bei Tarde L’opinion et la foule 2*me &d., 
Paris 1904. Die englischen Verhältnisse schildert Dicey, Lectures on the
	        
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