Full text: Allgemeine Staatslehre

Viertes Kap. Bezieh. d. Staatslehre z. Gesamtheit d. Wissenschaften. 105 
Auch die Fixierung und Umbildung der Familie durch den Staat, 
die auf höherer Kulturstufe vorgenommen wird, ist in. einer sozio- 
logischen Spezialdisziplin dieser Art eingehend zu untersuchen. 
5. Ein weiteres Gebiet der Gesellschaftslehre ist das Ge- 
nossenschaftswesen, das in innigen Beziehungen zum 
Staate steht. Verbände der verschiedensten Arten lösen soziale 
Aufgaben derart, daß sie die rechtliche Form abgeben, durch 
welche gesellschaftliche Gruppen sich in größerem oder geringe- 
rem Umfange organisieren können. In Zeiten geringer staatlicher 
Entwicklung haben sie den Staat selbst ersetzt oder sind dem 
Staate vorangegangen, der sich erst später ihre Tätigkeit zu 
eigen machte. Das großartige Genossenschaftswesen des Mittel- 
alters namentlich hat gezeigt, wie manche uns heute wesentlich 
dünkende Seite der staatlichen Verwaltung Jahrhunderte hin- 
durch ihm nicht zugehörte. Auch die Gemeinden zeigen in 
ihrer Geschichte Epochen, in denen sie noch nicht in gleicher 
Weise als notwendige und unabhängige Glieder des Staates exi- 
stieren wie heute. Wenn so oft behauptet. wurde, daß die Ge- 
meinde älter als der Staat und in ihrem Wesen dem Staate 
gegenüber selbständig sei, so ist daran so viel richtig, daß 
nachbarliche Interessen und die daraus sich ergebende gesell- 
schaftliche Gruppierung entweder gar nicht oder nur zum ge. 
ringen Teile Schöpfung des Staates sind. In dem Bildungsprozeß 
der antiken Staaten hat der Zusammenschluß von Dorfschaften 
zu einem größeren politischen Ganzen gewiß eine große Rolle 
gespielt. Auf Kolonistenboden gehen zerstreute lokale Ansıed- 
lungen der Entstehung eines größeren territorialen Ganzen auch 
heute noch voran. Amerikanische Territorien werden zu Staaten, 
indem sich zunächst lokale Ansiedlungen bilden, aus deren Zu- 
sammenschluß mit Hilfe der Unionsregierung eine gemeinsame 
Organisation gebildet wird, die späterhin sich zu einem Gliede 
der Vereinigten Staaten erweitert. Im Mittelalter ging die Bil- 
dung der Gemeinden vielfach ohne staatliche Initiative vor sich, 
wenn auch der Staat. überall die Städte mit Rechten und Privi- 
legien ausstattete. Der Wirkungskreis der Gemeinde ‘war aber 
keineswegs vom Staate fest umschrieben, daher denn auch in 
den Städten selbständig Behörden und Verwaltungszweige ent- 
standen, die dem Staate für seine Organisation und Funktionen 
Vorbilder lieferten. 
Allein, die Gemeinde tritt früh in innige Beziehungen zum
	        
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