Full text: Allgemeine Staatslehre

122 Erstes Buch, Einleitende Untersuchungen. 
die Wirkung gehabt, daß die Grundzüge der modernen Ver- 
waltungsorganisation, und zwar nach französischem Muster, im 
Laufe des 19. Jahrhunderts in den europäischen Staaten wesent- 
lich die gleichen geworden sind. Ebenso greifen in der Gegenwart 
kraft der Gleichartigkeit der sozialen Verhältnisse sozialpolitische 
Reformen, die in einem ‚Staate vorgenommen werden, sofort über 
diesen Staat hinaus, wie die Geschichte des Arbeiterschutzes und 
die Arbeiterversicherung beweist. 
11. In den vorstehenden Erörterungen ist schon darauf hin- 
gewiesen, daß der Staat nicht nur von den anderen gesellschaft- 
lichen Verhältnissen beeinflußt: wird, sondern auch auf sie selbst 
bestimmend einwirkt. Die Art dieser Einwirkung muß Gegenstand 
besonderer wissenschaftlicher Untersuchung sein. Von dieser Art 
sei hier noch einiges Wichtige hervorgehoben. Zu scheiden ist 
vor allem die bewußte, beabsichtigte von der unbewaußten, un- 
beabsichtigten Wirkung. Die letztere nämlich, die in der Theorie 
häufig übersehen wird, ist in der Regel viel stärker ‚als die erste. 
Auf Bildung und Bestand der, Nationen, auf Ausbreitung und Rück- 
gang von Religionen, auf Hervorbringung und Ausgleichung so- 
zialer Unterschiede sind staatliche Institutionen, selbst wenn sie 
unmittelbar ganz andere Zwecke verfolgten, von bedeutendstem 
Einfluß gewesen. Ein Hauptbeispiel dieser Art aus der neueren 
Zeit ist die Zerreibung der feudalen Gesellschaft in Frankreich 
durch das absolute Königtum gewesen, das keine andere Macht 
im Staate neben sich dulden wollte. Durch die konsequente Po- 
litik der Könige wurde aber zugleich die Gesellschaft nivelliert 
und der Demokratisierung nähergebracht, wodurch der Revolu- 
tion die Wege gebahnt wurden, — ein Resultat, das ganz außer- 
halb der Berechnung der Monarchen lag und liegen-mußte. Sogar 
auf Sprache und Literatur hat der Staat oft einen bedeutenden 
unbeabsichtigten Einfluß gehabt. In einem Staate mit verschie- 
denen Sprachen und Dialekten ist die Sprache des Königs und.der 
höchsten Behörden in der Regel die Schriftsprache geworden!). 
  
!) Von dem Einfluß des Staates auf die Sprache ist merkwürdiger- 
weise sowohl in der staats- als in der sprachwissenschaftlichen: Literatur 
kaum dic Rede. Bei Arnold Kultur- und Rechtsleben 1865 S. 67 finden 
sich einige recht allgemein gehaltene Andeutungen; von systematischer 
Untersuchung dieses interessanten Problems ist mir nichts bekannt. 
Neuestens einige Bemerkungen bei Lindner Geschichtsphilosophie 
S.151£. und Bernatzik in der Kultur der Gegenwart, Syst. Rechts- 
wissenschaft 1906 S.399 £.
	        
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