Full text: Allgemeine Staatslehre

124 Erstes Buch. Einleitende Untersuchungen. 
einander widerstrebenden Elementen zusammengesetzt sind, 
zeigen sich diese Erscheinungen, nicht minder in Staaten, die 
ohne Rücksicht auf eine nationale Basis gebildet worden sind. 
In den am Anfang des 19. Jahrhunderts aus einem bunten Ge- 
wirre von Territorien und Städten des alten Reiches gebildeten 
süddeutschen Staaten ist binnen kurzem ein im neuen Reiche 
fortdauerndes partikularistisches Staatsgefühl entstanden, das selbst 
die Erinnerung an die früheren politischen Verhältnisse gänzlich 
ausgelöscht hat. Derartige Wirkungen können aus den mit Be- 
wußtsein geschaffenen Einrichtungen der Staaten nicht erklärt 
werden. 
Nur diese beabsichtigte Wirkung des Staates auf die Gesell- 
schaft hat man ım Auge, wenn man ıhm nur geringen Einfluß 
auf die sozialen Verhältnisse zuschreibt. Denn das spezifische 
Machtmittel des Staates, die Herrschaft, ist wie alles von außen 
Kommende nicht geeignet, tiefgreifende Umgestaltungen zu ver- 
anlassen, die sich teils im Innern der Menschen vollziehen, teils 
auch da, wo sie in die äußere Erscheinung treten, jeder äußeren 
Gewalt spotten. Die Interessengemeinschaft z. B. zwischen Jen 
Mitgliedern einer wirtschaftlichen Klasse zu zerstören, ist keine 
Zwangsgewalt imstande. Wo Staatsgewalt aber gebraucht wird, 
um «ein bestimmtes soziales Resultat herbeizuführen, da liegt 
der schließliche Effekt ganz außerhalb der Berechnung. Die 
Bauernbefreiung, die Anerkennung der wirtschaftlichen Freiheits- 
rechte, dıe Mobilisierung des Grundbesitzes haben im, höchsten 
Grade auf die Umgestaltung der modernen Gesellschaft ein- 
gewirkt, aber Maß und Art dieser Einwirkung ist nur zum ge- 
ringen Teile im Bewußtsein der Urheber dieser Maßregeln ge- 
wesen, die zudem großenteils zuerst in der Form gesellschaft- 
licher Anforderungen an den Staat aufgetreten sind. Ausnahms- 
weise allerdings kann durch Anwendung brutaler Macht der 
Staat ein festes, wenn auch nur negatives soziales Resultat er- 
zeugen, wie z. B. Gegenreformation und französische Konvents- 
herrschaft gezeigt haben. Aber auch solche Resultate sind be- 
grenzt und nicht von Dauer, wie durch die Anerkennung der 
Glaubensfreibeit in den katholischen Staaten und die franzö- 
sische Restauration bewiesen wurde. 
Darum zeigt die Gesellschaftslehre die Grenzen des staat- 
lichen Könnens. Die fortschreitende Änderung, Entwicklung und 
Rückbildung der gesamten Gesellschaft kann der Staat seinen
	        
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