Full text: Allgemeine Staatslehre

Sechstes Kapitel. Das Wesen des Staates. 143 
tion dieser Lehre erscheint diejenige, welche den Staat als das 
Verhältnis der Beherrschung auffaßt!). 
Die Zustandstheorie hat zwei Abarten, sie kehrt nämlich 
unter den juristischen Theorien wieder. Hier ist sie nur als 
Lehre vom objektiven Sein des Staates zu prüfen. Der Zu- 
stand oder das Verhältnis der Beherrschung soll das wahrhaft 
Seiende darstellen, das den Vorstellungen vom Staate zu- 
grunde liegt ?). 
Diese Lehre verkennt, daß jener Zustand in Wahrheit stets 
eine unbegrenzte Vielheit von Willensverhältnissen ist, die nie- 
mals etwas bloß Objektives sind, daß er kein Konkretum, son- 
dern eine Abstraktion aus zahllosen individualisierten Willens- 
verhältnissen ist. Weder die Einheit des Staates noch seine 
Kontinuität können von diesem angeblich realistischen Stand- 
punkt aus begriffen werden. Vielmehr löst diese Lehre, kon- 
sequent zu Ende gedacht, den Staat auf in eine unübersehbare 
Vielheit nebeneinander bestehender und einander folgender Herr- 
schaftsverhältnisse: so viele beherrschte Menschen, so viele 
Zustände der Beherrschung; ja das Verhältnis eines herrschen- 
den zu einem beherrschten Individuum. besteht, näher besehen, 
in einer Reihe einzelner Beherrschungsakte. Alle Einheit dieser 
Verhältnisse ist nicht real außer uns, sondern entsteht in uns 
durch sinnende Betrachtung, durch Synthese, die sich im Innern 
der Subjekte vollzieht, wie denn auch das einzelne Herrschafts- 
verhältnis nie etwas rein Objektives ist, da es sich stets im 
Innern der Subjekte mit abspielt. Die Frage nach dem einigen- 
den Band, das die Vielheit der Willensverhältnisse miteinander 
verknüpft, wird von den Vertretern dieser Theorie nicht einmal 
aufgeworfen. 
Die alte naturrechtliche Zustandstheorie tritt niemals 
für sich auf, sondern ist stets mit einer anderen verbunden. 
  
stand der Beherrschung; H.Bischof Allg. Staatsl. S.31: Staat = der 
einer Gesamtheit von sozialen, auf einem bestimmten Gebiete ansässigen 
Elementen eigentümliche Zustand der Unterwerfung aller Willen unter 
eınen Willen. 
1) H.A.Zachariae Deutsch. Staats- u. Bundesrecht I S.43: Staat 
objektiv = Zustand (status im engeren Sinne), ein Rechtsverhältnis 
zwischen dem Ganzen und seinen Gliedern; E.Lingg Empir. Unter- 
suchungen S. 6: Staat = Verhältnis der Beherrschung eines Volkes inner- 
halb eines gewissen Gebietes. 
?) Dies darzutun, ist das Bestreben Linggs in dem zitierten Buche.
	        
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