162 Zweites Buch. Allgemeine Soziallehre des Staates.
zahlreiche soziale Gebilde im Staate. Worin das eigentümliche
Wesen des staatlichen Verbandes besteht, ıst in anderem Zu-
sammenhange als hier zu erörtern, wo wir zuvörderst nur einen
Überblick über die verschiedenen Grundkategorien gewinnen
wollten, auf welche der Staat zurückgeführt wurde.
C. Die juristischen Lehren vom Staate. Der Staat
als Rechtsbegriff.
Da das Recht dem Staate wesentlich ist, so ist eine voll-
endete Erkenntnis des Staates ohne Kenntnis seiner rechtlichen
Natur nicht möglich. Der Staat, geordnet durch das Recht, Be-
wahrer und Fortbildner des Rechts, muß notwendig ım Rechte
selbst seine Stellung haben, es muß einen Rechtsbegriffi des
Staates geben!). Den Rechtsbegriffen dienen die objektiven und
innerhalb der Subjekte sich abspielenden sozialen Vorgänge zwar
als Substrat, das Recht muß stets von realen Tatbeständen aus-
gehen, weil es, wie immer es beschaffen sein mag, stets den
Zweck hat, auf reale Tatbestände angewendet zu werden. Allein
die realen Tatbestände sind nicht die Rechtsbegriffe selbst. Die
sind vielmehr Abstraktionen, die aus den gegebenen Rechtsregeln
gewonnen werden und den Zweck haben, die Vielheit der ‚Regeln
unter einheitliche Gesichtspunkte zu ordnen. Daher wird, wie
bereits erwähnt, durch Rechtsbegriffe niemals ein reales Sein
erkannt, sondern immer nichts anderes als Normen, die durch
menschliche Tat verwirklicht zu werden bestimmt sind. Den
Rechtsbegriffen als solchen entspricht keine Realität außer uns.
Außer uns gibt es materielle Körper, aber keine Sachen im
Rechtssinne, kein Eigentum, keinen Besitz. Die Sachen im
Rechtssinne entstehen durch Abstraktionen aus den vom Rechte
geregelten Beziehungen von Menschen zu Dingen der Außenwelt
und zueinander. Der Begriff des Eigentums und der des Besitzes
werden abgezogen aus den die Relation der Menschen zu den
Sachen regelnden Normen. Eigentum und Besitz sind aber, ent-
gegen den populären Vorstellungen, niemals greif- oder sichtbare
Dinge, sondern ausschließlich Beziehungen solcher Dinge auf
Normen, die sie zu beherrschen bestimmt sind. Wenn wir daher
1) Die nähere Begründung dieses Satzes folgt im Kap. XI. — Über
das Verhältnis der Rechtsbegriffe zur Wirklichkeit A.Affolter im
Arch. f.öff.R. 21. Bd. 1907 S. 410 ff.