Full text: Allgemeine Staatslehre

172 Zweites Buch. Allgemeine Soziallehre des Staates. 
Den Staat als Rechtssubjekt zu erfassen, geschieht daher mit 
nicht minderem wissenschaftlichem Rechte als die Auffassung 
des Menschen als Rechtssubjektes. Nur von dieser Lehre aus 
kann die Einheit des Staates, die Einheitlichkeit seiner Organı- 
sation und des durch sie erzeugten Willens dem juristischen Ver- 
ständnis entgegengeführt werden!). 
  
Wesen des Organismus berufen hat. Die geistige Einheit sei vielmehr 
eine Grundtatsache unseres Seelenlebens. Damit ist doch aber über 
den Charakter dieser Einheit nicht das geringste ausgesagt, vielmehr 
eben erst die wissenschaftliche Frage nach dem für sie maßgebenden 
principium individuationis hervorgerufen. Der Begriff der Einheit ist, 
wie dargelegt, vieldeutig. Eine Einheit schlechthin gibt es nicht; welcher 
Gattung von Einheiten ist nun die des Bewußtseins unterzuordnen, wenn 
nicht der eng mit der Vorstellung des Organismus verknüpften teleo- 
logischen? Daß übrigens die Rechtsordnung das Individuum als Einheit 
wertet, hat mit der letzten erkenntnistheoretischen Anschauung gar nichts 
zu tun. Das praktische Leben kann nicht auf den letzten Zusammenhang 
der Dinge aufgebaut werden, sondern nur auf die Durchschnitis- 
anschauungen einer Zeit, was ich doch so energisch hervorgehoben habe 
(System der subj. öff. Rechte S.15ff.), daß über meine Ansicht ein 
Irrtum kaum möglich ist. Daher muß auch die Polemik von Hold 
v.Ferneck, Die Rechtswidrigkeit 1 1903 S. 253, als unzutreffend zurück- 
gewiesen werden. 
t) Zu erwähnen wäre noch, daß in neuester Zeit auch versucht 
wurde, mehrere der juristischen Lehren vom Staat miteinander zu koın- 
binieren. So erklärt Eltzbacher, Der Anarchismus S. 28ff., den Staat 
als ein unfreiwilliges Rechtsverhältnis und zugleich als juristische Person, 
ohne zu verraten, woher das Zwangsrecht stammt, welches jenes Ver- 
hältnis begründet und wodurch die Vielheit des Verhältnisses zur Einheit 
der Person wird. Ferner hatte Rehm, Modernes Fürstenrecht 1904 
S. 58ff., von dem heutigen deutschen monarchischen Gliedstaat behauptet, 
daß er zur Hälfte Patrimonial-, also Objekistaat, zur Hälfte körperschaft- 
licher Staat sei. In Wahrheit ist er aber nach dieser Lehre reiner 
Patrimonialstaat, was daraus hervorgeht, daß Rehm in bestimmten 
Fällen, so namentlich bei Erbverbrüderungen (S. 49 ff.), von Rechts wegen 
Teilung des Staates verlangt. Ein Staat jedoch, dessen Angehörige 
irgendwann nach dem für sie geltenden Rechte gleich einer Herde auf- 
geteilt werden können, ist seinem inneren Wesen nach Objekt, nicht 
Subjekt. Mit der Staatsteilung würde natürlich auch die ganze epi- 
sodische Staatsverfassung verschwinden und die nur durch das Reichs- 
recht gemäßigten neuen Fürsten könnten ihre Patrimonien als un- 
beschränkte Herren regieren. Diese Lehre ist ungeschichtlich. Sie über- 
sieht völlig, daß das selbständige Recht der Dynastien in dem alten 
Reichsrecht wurzelte und von diesem geschützt war, daß es mit Auf- 
lösung des Reiches wie alles noch aus der alten Ordnung stammende 
Recht den nunmehr souverän gewordenen Staaten unterstellt wurde und
	        
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