Sechstes Kapitel. Das Wesen des Staates. 183
und inwieweit der Staat selbst als Gebilde des Rechts bezeichnet
werden kann, ist an anderer Stelle zu erörtern. Die Möglichkeit
rechtlicher Selbstbeschränkung des Staates, durch die er sich
unter das Recht stellt, Träger von Rechten und Pflichten wird,
muß an dieser Stelle als begründet vorausgesetzt werden.
Seiner juristischen Seite nach kann der Staat nach den
vorausgegangenen kritischen Erörterungen nur als Rechts-
subjekt gefaßt werden, und zwar ist es näher der Begriff der
Körperschaft, unter den er zu subsumieren ist. Das Substrat
der Körperschaft sind stets Menschen, die eine Verbandseinheit
bilden, deren leitender Wille durch Mitglieder des Verbandes
selbst versorgt wird. Der Begriff der Körperschaft aber ist ein
rein juristischer Begriff, dem, wie allen Rechtsbegriffen, in der
Welt der Tatsachen nichts objektiv Wahrnehmbares entspricht;
er ist eine Form der juristischen Synthese, um die rechtlichen
Beziehungen der Verbandseinheit, ihr Verhältnis zur Rechts-
ordnung auszudrücken. Schreibt man daher dem Staate wie der
Körperschaft überhaupt juristische Persönlichkeit zu, so hat man
nach keiner Richtung hin eine Hypostasierung oder Fiktion vor-
genommen, denn Persönlichkeit ıst nichts anderes als Rechts-
subjekt und bedeutet daher, wie oben ausgeführt, eine Relation
einer Einzel- oder Kollektivindividualität zur Rechtsordnung. Ein
großer Teil der Irrtümer in der Lehre von der juristischen
Person rührt von der naiven Identifizierung der Person mit dem
Menschen her, trotzdem jedem Juristen schon der flüchtigste Blick
in die Geschichte der Unfreiheit lehrt, daß beide Begriffe sich
mit nichten decken.
Als Rechtsbegriff ist der Staat demnach diemit ursprüng-
licher Herrschermacht ausgerüstete Körperschaft
eines seßhaften Volkes oder, um einen neuerdings ge-
bräuchlich gewordenen Terminus anzuwenden, die mit ur-
sprünglicher Herrschermacht ausgestattete Ge-
bietskörperschaft.
Eine Reihe von Einzeluntersuchungen wird den hier ge-
wonnenen Begriff des Staates tiefer zu begründen und zu ergänzen
haben. Die Fragen nach der Rechtfertigung des Staates, nach
Wesen und Umfang der Staatszwecke, die für den Staatsbegriff
konstituierend sind, sowie die Lehre von der Souveränetät sind
besonderen Kapiteln vorbehalten.