Full text: Allgemeine Staatslehre

Siebentes Kapitel. :Die Lehren von der Rechtfertigung des Staates. 201 
die schärfste Kritik der ganzen Patrimonialtheorie. ‚ Sie steht 
und fällt mit Annahme einer vorstaatlichen Eigentumsordnung,, 
Sie zeigt klar, zu welchen Willkürlichkeiten man vom Stand- 
punkte einer solchen angeblichen Rechtsordnung gelangen kann, 
indem ohne nähere Begründung das: territoriale Element des 
Staates als die Hauptsache, die Menschen als Nebensache. be- 
handelt werden. Da jenes vorstaatliche Recht nirgends in einer 
nicht anzuzweifelnden Gestalt aufgewiesen werden kann, so ist 
es leicht, es durch Machtsprüche seinen politischen. Neigungen 
gemäß zu formen und den leeren Raum, den die Wissenschaft 
an dieser Stelle erblickt; mit den Gebilden verkehrtester poli- 
tischer Phantasie zu bevölkern. 
In einem Zeitalter weitester historischer und: rechtsverglei+ 
chender Forschung ist die Patrimonialtheorie als staatliche -Recht- 
fertigungslehre eingehender Widerlegung nicht mehr bedürftig. 
Doch sind ihre Wirkungen in manchen staatlichen Vorstellungen 
und Lehren!) heute noch deutlich zu erkennen. 
c) Die Vertragstheorie. Weitaus die bedeutendste unter 
den Rechtstheorien ist die Lehre, der zufolge ein Vertrag den 
Rechtsgrund des Staates bildet, nicht nur vermöge des Ansehens 
der Männer, die sie vertreten haben, sondern auch kraft der ge- 
waltigen Wirkung, die sie auf die Gestaltung :des modernen 
Staates ausgeübt hat. 
Auch die Wurzeln der Vertragslehre liegen weit zurück. Die 
Vorstellung, daß vertragsmäßige Vereinigung bisher unverbunde- 
ner Menschen den Ursprung des Staates abgebe,.tritt bereits im 
  
Kein einziges Gesetzbuch hat je das Eigentum eingeführt oder ange- 
ordnet... So ist auch das Eigentum nicht aus den Staaten, sondern im 
Gegenteil die Staaten oder Herrschaften sind aus dem Eigentum (dem 
angeborenen und dem erworbenen) hervorgegangen.“ A.a.O. II S. 57. 
1) Für die Fortdauer alter, überwundener Theorien im Gefüge 
moderner Ideen sei hier als Beispiel nur angeführt eine merkwürdige, 
vom Staatsgute handelnde Bestimmung der bayerischen Verfassung vom 
6. Jani 1818 Tit. III 81: ‚Der ganze Umfang des Königreichs Baiern bildet 
eine einzige untheilbare unveräußerliche Gesammt-Masse aus sämmt- 
lichen Bestandtheilen an Landen, Leuten, Herrschaften, Gütern, Regalien 
und Renten mit allem Zugehör.‘“ Gemeint ist mit dieser altfränkischen 
Wendung der sehr moderne Satz von der Unteilbarkeit des Staates. 
Die Entstehungsgeschichte des aus der Domanialfideikommißpragmatik 
von 1804 herübergenommenen Satzes bei Seydel Bayer. Staatsr. I 
5.133, 336. Über die Wiederentdeckung des patrimonialen Staates im 
heutigen Deutschland siehe unten Kap. XX (S. 676 N.1).
	        
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