Full text: Allgemeine Staatslehre

Siebentes Kapitel. Die Lehren von der Rechtfertigung des Staates. 203 
tiefstdringenden Folgerungen gezogen!). In den religiösen und 
politischen Kämpfen dieser Zeit ist die Bibel und namentlich das 
Alte Testament eine politische Macht von unvergleichlicher Be- 
deutung gewesen. Im Mittelalter aber ist für die Grundlegung 
der Vertragslehre der Einfluß des römischen Rechts nicht minder 
stark wie der biblische. Aus’ der Stelle des Ulpian über die 
lex regia, durch welche das Volk dem Kaiser seine'Gewalt über- 
trägt, wird mit dem Aufblühen der Jurisprudenz eine Stütze der 
Lehre vom vertragsmäßigen Ursprung der weltlichen Gewalt?2). 
Die zahlreichen genossenschaftlichen Bildungen der germanischen 
Welt, die ihre Verfassung durch Majoritätsbeschlüsse regeln und 
ihre Organe frei bestellen, die privatrechtlichen Anschauungen, 
die das politische Denken der Zeit des Feudalismus durchdringen, 
die vertragsmäßige Entstehung des Lehensverhältnisses, die häu- 
fige Erscheinung des Wahlfürstentums, namentlich die Bestellung 
des geistlichen und weltlichen Hauptes der Christenheit durch 
Wahl, das Verhältnis der Stände zum Fürsten, das als auf einem 
Pakt beruhend gedacht wird und den Charakter fortwährenden 
Paktierens an sich trägt, gewähren der Vertragslehre in dem 
Denken vieler Jahrhunderte eine feste Stütze. 
Von ihrem ersten Auftreten an sind es aber bestimmte poli- 
tische Zwecke, die durch die Vertragslehre erreicht werden sollen. 
Zuerst finden wir die Lehre vom vertragsmäßigen Ursprung der 
Herrschaft im Zeitalter Gregors VII. Sowohl die Gregorianer be- 
  
1) Interessant für die Vermischung von Jurisprudenz und Theologie 
sind z.B. die Ausführungen von Junius Brutus (nach neueren 
Forschungen nicht Pseudonym für Hubert Languet, sondern für Du 
Plessis-Mornay, vgl. G. Weill Les theories sur le pouvoir royal en 
France pendant les guerres de religion, Paris 1891, p. 109), Vindiciae 
contra tyrannos 1580, über die Korrealobligation, die Gott einerseits, 
der König und das Volk anderseits abgeschlossen haben, sowie die 
Ableitung des Königsrechtes aus dem Volkswillen trotz der göttlichen 
Einsetzung des Königs durch Unterscheidung von electio und constitutio 
regis. Vgl. Treumann Die Monarchomachen (Jellinek-Meyer Staals- 
und völkerrechtliche Abhandlungen I 1) S.56f., S.62ff. Über Mornay und 
die Vindiciae handelt nunmehr in gründlichster Untersuchung A. Elkan 
Die Publizistik der Bartholomäusnacht 1905. 
2) Inst. 12 86, pr. D. de const. princ. 1,4. Vgl. Gierke Gen.-Recht 
111 S.570f. Bezold, Die Lehre von der Volkssouveränität während des 
Mittelalters, Historische Zeitschrift 36 S.323, läßt die Wirkung dieser 
Stellen bereits im 11. Jahrhundert bei Manegold von Lautenbach ein- 
treten. Dagegen Rehm Geschichte S. 166.
	        
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