Siebentes Kapitel. Die Lehren von der Rechtfertigung des Staates. 207
Vertragslehre überhaupt betrachtet wurde, ist von durchgreifender
systematischer Erörterung des Sozialvertrages nicht die Rede!?),
wie auch bei anderen Schriftstellern dieser Zeit sich nur Andeu-
tungen, aber keine näheren Ausführungen über den staatsbegrün-
denden Vertrag finden. Diese Lehre wurde vielmehr als Glied
eines tiefdurchdachten Gedankensystems aufgestellt von einem
Manne, der in einer vom Gedanken des Sozialvertrages erfüllten
Atmosphäre, in dem England der beiden ersten Stuarts, groß ge-
worden war. Die Theorie des Sozialvertrages beginnt ihre epoche-
machende wissenschaftliche Laufbahn mit Thomas Hobbes.
Hobbes steht auf dem Boden einer durch die beginnende
moderne Naturwissenschaft und die sie begleitenden philosophischen
(namentlich epikuräischen) Lehren begründeten mechanischen
Naturanschauung, welche, die Teleologie verwerfend, aus den
Eigenschaften der natürlichen Elemente des Seienden die ganze
physische und moralische Welt konstruiert. Damit ist auch die
Ableitung aller gesellschaftlichen Verhältnisse aus Wesen und
Eigenschaften des Individuums gesetzt. Zwei Gattungen von
Staaten scheidet Hobbes. Die eine ist der natürliche, historisch
gebildete, auf Gewaltverhältnissen beruhende Staat. Die andere
ist der eingesetzte, rationale Staat (civitas institutiva), den der
Forscher nıcht aus der Geschichte, sondern aus der menschlichen
Natur ableitet?). Diesen institutiven Staat läßt er genetisch,
Ausbau der Lehre vom Gesellschaftsvertrage bedeuten, ist eine rein
literarhistorische Streitfrage, die an der geschichtlichen Tatsache nicht
zu rütteln vermag, daß die großen Schriftsteller der englischen demo-
kratischen Bewegung sich stets nur auf Hooker und niemals auf
Althusius berufen, der nur in untergeordneten Gelegenheitsschriften jener
Zeit genannt wird; vgl. Gooch a.a.0. p.56. Welche literarische
Wirkung Althusius sonst gehabt haben mag, ist an dieser Stelle nicht
zu untersuchen.
t) Nur einige kürzere Sätze sind Proleg. $ 15 der Vertragslehre ge-
widmet.
2) Vgl. De cive V 12, Lev. XVII p. 159. Über den Zusammenhang der
Staatslehre des Hobbes mit seinen philosophischen Grundanschauungen
vgl. namentlich Robertson Hobbes, Edinburgh and London 1886, und
Tönnies Anmerkungen über die Philosophie des Hobbes, Viertel-
jahrsschrift f, wissenschaftliche Philosophie III—V 1879-—81, namentlich
IV S.428ff,. u. V S.186££f.; ferner derselbe Thomas Hobbes,
Deutsche Rundschau 1889 VII S.94ff.,, und Hobbes Leben und Lehre
1896 S.199 ff. Die neueste Darstellung des gesamten Systems des Hobbes
ist das posthume Werk von Leslie Stephen Hobbes, London 1904.