208 Zweites Buch. Allgemeine Soziallehre des Staates.
aber nicht etwa historisch, vor unseren Augen aus seinen Ble-
menten hervorgehen!). Zu diesem Zwecke konstruiert er durch
hypothetische Aufhebung des Staates in klarster und schroffster
Weise (darin allerdings auch auf dem Boden überlieferter antiker
und kirchlicher Vorstellungen stehend) einen Naturzustand, in
welchem ausschließlich die zum Kriege aller gegen alle führende
Selbstsucht des Individuums heırscht und die Gebote des natür-
lichen Rechtes nur den Wert moralischer Anforderungen an den
Willen ohne jegliche Garantie ihrer Erfüllung haben. Der Grund-
trieb der Selbstsucht erzeugt aber die Furcht, und diese läßt ım
Menschen die Sehnsucht nach Frieden entstehen. Da aber die
natürlichen Eigenschaften des Menschen eine beständige Einigung
zwischen ihnen nicht bewirken können, so kann dauernder Friede
nur dann gewonnen werden, wenn alle einen Vereinigungsvertrag
schließen, dessen Inhalt die Unterwerfung aller unter einen
Willen ist?2). Durch diesen Vertrag tritt an Stelle des status
naturalis der status civilis. Dieser Grundvertrag ist zügleich
Gesellschafts- und Unterwerfungsvertrag®) und setzt an Stelle der
1) Das hat Hobbes in vollster Klarheit ausgesprochen in der Vor-
rede zu seinem Buche De cive: „Sicut ex quibus rebus quaeque res
eonstituitur ex iisdem etiam optime cognoscitur. Sicut enim in Horologio
automato aliave machina paulo implicatiore, quod sit cuiusque partis
rotaeque officium, nisı dissolvatur, partiumque maleria, figura, motus,
seorsum inspiciatur, sciri non potest: Ita in iure civitatis, civiumque
officiis investigendis opus est, non quidem ut dissolvatur civitas, sed
tamen ut tanquam dissoluta consideretur, id est, ut, qualis
sit natura humana, quibus rebus ad civitatem compaginandam apta vel
inepta sit, et quomodo homines inter se componi debeant qui coalescere
volunt, recte intelligatur.“ In der Anwendung dieser analytischen und
rationalen Methode steht Hobbes ohne jeden Vorgänger da.
2) Leviathan XVII p. 156 ff.
3) Ihn formuliert Hobbes Lev. XVII p. 158 folgendermaßen:
„il authorize and give up my right of governing myself, to this’ man or
to this assembly of men, on this condition, that thou giveth up thy
right to him and authorizeth all his actions in like manner.“ Das ist
aber nur so zu deuten, als ob jeder die verbindende Formel spräche,
„as if every man should say fo every man“; keinesweg's denkt daher
Hobbes an einen dereinst historisch abgeschlossenen Vertrag. Rehm,
Geschichte 5.242 (ähnlich schon früher Bischof, a.a.0. S. 137£.),
sucht nachzuweisen, daß Hobbes nicht durch einen, sondern durch
zwei Verträge den Staat entstehen läßt, nämlich durch einen von den
Individuen untereinander und sodann von dem Individuum mit dem
Herrscher abgeschlossenen Vertrag, durch welchen es dem Herrscher