Siebentes Kapitel. Die Lehren von der Rechtfertigung des Staates. 213
werfungsvertrag ist. Denn zwei Qualitäten .hat das Individuum:
als Teilhaber am Gemeinwillen ist es Bürger, als dem Gemein-
willen untergeben, Untertan!). Der Subjektionsvertrag ist daher
durch den contrat social keineswegs beseitigt.
Aus diesem rationalen Tatbestand zieht Rousseau eine Reihe
tiefeinschneidender Konsequenzen, die dem Bestehenden durchaus
entgegengesetzt waren. Da der allgemeine Wille unvertretbar,
unteilbar, unveräußerlich ist, so muß der Gegenstand des Gemein-
willens, das Gesetz, notwendig Gesamtbeschluß des souveränen
Volkes sein, was auch immer die Form der Regierung sein mag,
deren Aufgabe ja nichts anderes als Ausführung des Gesetzes ist.
Der vernünftige, rechtmäßige Staat ist und bleibt unmittelbare
Demokratie, ein Gedanke, dessen gewaltige Wırkung sich bis auf
den heutigen Tag herab in den Programmen der radikalen Par-
teien widerspiegelt.
Auf Rousseau bauend und doch wieder in wichtigen
Punkten selbständig?) hat sodann Kant?), dessen große Autorität
dıe Vertragstheorie bis tief in das 19. Jahrhundert stützte), die
ausschließlich rationale Natur des Sozialvertrages ausdrücklich
hervorgehoben, indem er sagt: „Der Akt, wodurch sich das Volk
selbst zu einem Staate konstituiert, eigentlich aber nur die Idee
desselben, nach der die Rechtmäßigkeit desselben allein gedacht
werden kann, ist der ursprüngliche Kontrakt, nach welchem alle
(omnes et singuli) im Volk ihre äußere Freiheit aufgeben, um
sie als Glieder eines gemeinen Wesens, d. h. des Volkes als
Staat betrachtet (universi), sofort wieder aufzunehmen.‘>)
1) A l’ögard des associes ils....s’appellent en particulier citoyens,
comme participant ä l’autorit& souveraine, et sujets, comme soumis
aux lois de l’Etat I 6.
2) Über Kants Originalität vgl. auch M,Salomon im Arch.d.
ö.R. 28. Bd. 1912 S. 97 ft.
3) Und vor ihm Fichte in dem bereits zitierten Jugendwerk, das
1793, fast vier Jahre vor der Kantschen Rechtslehre, erschienen war.
*) Die zahlreichen Nuancen der nachkantischen Vertragslehre zu
erörtern, würde an dieser Stelle zu weit führen, zumal sie keine origi-
nellen Ideen enthält. In ihr kehren aber auch die alten Irrtümer wieder.
So erklärt noch Rotteck, Vernunftrecht II S.52, den Staatsvertrag für
wirklich abgeschlossen, also zugleich für den rationalen und historischen
Grund des Staates.
5) Rechtslehre 847. Ferner: „Der Geschichtsurkunde dieses Mechanis-
mus nachzuspüren, ist vergeblich, d.i. man kann zum Zeitpunkt des An-