Full text: Allgemeine Staatslehre

Sicbentes Kapitel. Die Lehren von der Rechtfertigung des Staates. 217 
zurückgezogen haben, dazu das vollkommene Recht. — Es ist ein 
neuer Staat entstanden). 
So ist denn die Vertragstheprie, logisch zu Ende gedacht, 
nicht staatsbegründend, sondern staatsauflösend.. Wenn diese 
Folgerung aus ihr nur Fichte gezogen hat, so hat das seinen 
Grund darin, daß die anderen entweder kritiklos den Satz von 
der absolut bindenden Kraft der Verträge als nicht weiter an- 
zuzweifelndes Dogma aufstellen oder daß neben dem Vertrag 
noch eine andere Macht zur Rechtfertigung des Staates heran- 
gezogen wird. Der Vertrag ist bei vielen nur causa proxima 
des Staates, hinter der als causa remota, sei es ein Naturtrieb, 
sei es ein höheres sittliches Gebot, steht, so daß diese Lehren 
in die Bahnen der psychologischen und ethischen Theorien ein- 
münden. 
Hat die Vertragslehre demnach ihr Ziel verfehlt, so war und 
ist ihre historische Wirkung geradezu unermeßlich. Der ganze 
moderne Staat ist in seinem Bau und seinen Institutionen von 
ihr auf das tiefste beeinflußt worden. An dieser Stelle sei nur 
kurz erwähnt, daß die Idee ausdrücklicher Freiheitsrechte, die 
Forderung der Errichtung des Rechtsstaates und die Erfüllung 
dieser Forderung durch richterliche Garantierung des gesamten, 
also auch des öffentlichen Rechtskreises der Individuen auf sie 
zurückzuführen ist. Die Grundsätze der liberalen politischen 
und ökonomischen Parteien sind unter ihrem tiefgreifenden Eın- 
flußB gebildet worden. Durch die enge Verbindung, in welcher 
sie mit der neueren Lehre von der Volkssouveränetät stcht, hat 
sie auch das Fundament für die aus deren Prinzipien abgeleiteten 
Folgerungen gelegt. In der französischen Plebiszitslehre, in dem 
schweizerischen und amerikanischen Verfassungsreierendum lebt 
sie ebenso fort wie in den politischen Forderungen der deutschen 
Sozialdemokraten. Im 18. Jahrhundert unbestritten herrschend, 
hat sie in Europa eine alte Welt in Trümmer geschlagen und 
jenseits des Ozeans eine neue schaffen helfen. Denn politische 
Lehren, hierin den religiösen gleichend, wirken nicht durch das 
  
1) A.a.0. S.148. Fichte fährt hierauf fort: „Zu jeder Revolution 
gehört die Lossagung vom ehemaligen Vertrage und die Vereinigung 
durch einen andern. Beides ist rechtmäßig, mithin auch jede Revolution, 
in der beides auf die gesetzmäßige Art, d.i. aus freiem Willen, geschieht.“ 
An diese Fichteschen Ideen klingen die Ausführungen von A.Menger 
an: Neue Staatslehre 1903 S. 217 (3. Aufl. 1906 S. 169£.).
	        
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