Full text: Allgemeine Staatslehre

234 Zweites Buch. Allgemeine Soziallehre des Staates. 
In scharfem Gegensatz zur Frage nach dem objektiven steht 
die nach dem subjektiven Zwecke des Staates, d. h. nach 
den Beziehungen des Staates zu den individuellen Zwecken. Diese 
Frage muß aufgeworfen und beantwortet werden, und nichts als 
unklare Vermengung des objektiven mit dem subjektiven Zwecke 
ist es, wenn ihre Nichtberechtigung behauptet wird. Die Not- 
wendigkeit der Frage ergibt sich aus folgenden Erwägungen. 
Der Staat ist eine Zweckeinheit. Daher muß die soziale 
Staatslehre, die von solcher Staatsauffassung ausgeht, die Zwecke 
nachweisen, die uns die im Staate vereinigte Vielheit als Einheit 
erscheinen läßt. Das Dasein solcher Zwecke ergibt sich aus der 
unwidersprechlichen psychologischen Tatsache, daß das Leben 
des Staates in einer ununterbrochenen Reihenfolge menschlicher 
Handlungen besteht, jede Handlung aber notwendig durch ein 
Motiv, also durch einen Zweck bestimmt ist. Die Zwecklosigkeit 
des Staates in dem hier angegebenen Sinne behaupten hieße den 
Staat zu einer blinden Naturkraft degradieren, ihm alle Einheit 
und Kontinuität rauben, was doch nur Unklarheit oder Gedanken- 
losigkeit zu tun vermag. Jedes Gesetz, jede Verfügung, jede 
Ernennung, jeder Staatenverirag muß einen Zweck und zwar, 
gemäß dem Bewußtsein ihrer Urheber, einen vernünftigen Zweck 
haben, widrigenfalls der Staat ein großes Tollhaus wäre. 
Mit dem Staate steht es in dieser Hinsicht nicht anders als 
mit den anderen sozialen Institutionen. Deren objektiven Zweck 
(das t&Aos, wie Stahl es nennt) zu erforschen, ist Aufgabe der 
Spekulation, nicht der Wissenschaft, zumal historische Betrachtung 
uns alle Institute in fortwährendem Flusse begriffen zeigt und 
schon aus diesem Grunde von der Aufstellung eines konstanten 
Zweckes abgesehen werden muß. Wohl aber benutzen die ein- 
zelnen und die Gesamtheit diese Institutionen zu ihren eigen- 
artigen Zwecken. Daher hat auch jede Zeit ihre besondere 
Auffassung über den Zweck dieser Institute, was die Erscheinung 
des Zweckwandels hervorruft und erklärt. 
Hier möchte nun der hie und da erhobene Einwand passen, 
daß eben jeder Staat konkrete, jeweilige Zwecke hat, die allein 
von Bedeutung sind und sich nicht auf einen gemeinsamen Nenner 
bringen lassen.!). Allein so verschiedenartig auch menschliches 
  
1) Z.B. Gerber Grundzüge S.31; G. Meyer Staatsrecht S. 14. 
Alle solche nach der geschichtlichen Lage und den Volksanschauungen 
wechselnden Einzelzwecke lassen sich formal den subjektiven Gesamt-
	        
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