Full text: Allgemeine Staatslehre

242 Zweites Buch. Allgemeine Soziallehre des Staates. 
Die älteren, einen Staatszweck gegenüber den Individuen 
und der Gesamtheit anerkennenden und aufstellenden Lehren 
entnehmen ihre Sätze regelmäßig dem Idealtypus des Staates. 
Sie kennen daher meist nur einen abstrakten und deshalb der 
näheren Bestimmtheit entbehrenden Zweck. Wir wollen diese 
I[heorien als Lehren vom absoluten Zweck bezeichnen. Diese 
absoluten Zwecktheorien wollen einen einzigen, dem Staate für 
alle Zeiten und in all seinen Erscheinungsformen stets gleich- 
bleibenden Zweck aufstellen, der in sich einheitlich ist und alle 
anderen in sich Schließt. Da diese Theorien nicht von dem vor- 
handenen, sondern von dem vollendeten Staate ausgehen, so ent- 
spricht die Wirklichkeit niemals dem teleologischen Ideal. Da 
aber das Ideal der Verwirklichung entgegengeführt werden soll, so 
liegt in diesen Lehren ein starker politisch-agitatorischer Kern, wie 
denn überhaupt die Vorstellung politischer Ideale zu allen Zeiten 
eine nicht zu unterschätzende praktische Rolle gespielt hat. 
Den absoluten Theorien gegenüber stehen die von den rela- 
tiv-konkreten Staatszwecken, die aus den historisch wandel- 
baren Vorstellungen von den Staatsaufgaben und den konkreten 
staatlichen Verhältnissen, sowie durch sorgfältige Untersuchung 
der natürlichen Begrenzung der Staatstätigkeit gewonnen werden. 
Hier sind zunächst eingehender die absolutenTheorien zu 
erwähnen. Sie scheiden sich in zwei große Kategorien. Sie be- 
günstigen entweder die schrankenlose Ausdehnung der Staatsgewalt 
oder bannen diese in feste Grenzen. Es sind die Lehren von den 
expansiven und den limitierenden Staatszwecken, in 
welche die absoluten Theorien zerfallen. 
1. Die Lehren von den expansiven Staatszwecken. 
a) Die eudämonistisch-utilitarische Theorie. Sie 
ist die älteste, zuerst spekulativ ausgebildet und dem naiven Be- 
wußtsein am meisten einleuchtend. Daß Wohlfahrt des ein- 
zelnen und der Gesamtheit höchstes und einziges Ziel aller 
öffentlichen Einrichtungen sei, erscheint auf den ersten Blick 
geradezu als selbstverständlich. Die ganze antike Staatslehre ist 
mit auf dem eudämonistischen Gedanken aufgebaut, der ja die 
Grundlage der hellenischen Ethik bildet, wenn auch die Eu- 
dämonie von den verschiedenen Schulen verschieden formuliert 
wird. Nicht minder aber werden die modernen utilitarischen 
Moralsysteme zu der Konsequenz getrieben, den Staat für eine 
dem gemeinen Nutzen dienende Institution zu erklären.
	        
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