Full text: Allgemeine Staatslehre

248 Zweites Buch. Allgemeine Soziallehre des Staates. 
tinente in einflußreicher Weise dazu bei, den Widerstand gegen 
die grenzenlose Ausdehnung der Regierungstätigkeit hervorzurufen. 
Als Protest gegen den herrschenden Polizeistaat hat endlich 
Kant und die Kantsche Schule den Satz aufgestellt, daß der 
Staat nichts als „die Vereinigung einer Menge von Menschen 
unter Rechtsgesetzen‘ sei, das Recht aber keine andere Funktion 
habe, als die Koexistenz des Menschen zu garantieren; daher habe 
der Staat nur das Recht zu verwirklichen, jeder Wohlfahrtspflege 
jedoch zu entsagen!). Im Laufe des 19. Jahrhunderts wird diese 
Lehre zwar in weniger schroffer Form, aber in ihrer den Staat 
auf das mögliche Minimum fürsorgender Tätigkeit einschränken- 
den Richtung zur Grundlage der Staatstheorie des Liberalismus 
erhoben. Tvpischen Ausdruck hat sie zuletzt namentlich noch in 
England gefunden, als Protest gegen die fortschreitende Aus- 
dehnung, welche die Verwaltungstätigkeit des Staates auch dort 
erfahren hat?), 
Wenn die expansiven Theorien kein inneres Maß für die 
Begrenzung der Staatstätigkeiten gefunden haben, so kranken die 
limitierenden Lehren in allen ihren Abarten an zu dürftiger Be- 
messung des Staatszweckes. Bei jenen wird das Individuum dem 
Staate, bei diesen der Staat dem Individuum geopfert. Ihren rein 
spekulativen Charakter beweisen sie dadurch, daß eın bloß auf 
die Funktion des Rechtsschutzes beschränkter Staat niemals 
existiert hat und niemals existieren kann. Mindestens auf seine 
eigene internationale Sicherheit, die doch nicht immer identisch 
mit dem Schutz der Bürger ist und daher nicht in den Begriff 
des Rechtsschutzes eingezwängt werden kann, muß jeder Staat 
bedacht sein. Planmäßige Verleidigung setzt aber eine Reihe 
von Verwaltungstätigkeiten voraus, wie z.B. Sorge für die Heer- 
straßen, die, selbst dem mittelalterlichen Staate mit seiner rudi- 
mentären Verwaltung bekannt, nicht unter dem Gesichtspunkt 
des Rechtszweckes gerechtfertigt werden können. Die reine 
Rechtsstaatstheorie, die übrigens in ihre letzten doktrinären Kon- 
  
1) Unter den Anhängern Kants haben das (zeitlich Kant voran- 
gehend und konsequenter als er) namentlich energisch betont Fichte, 
Grundlage des Staatsrechts nach den Prinzipien der Wissenschaftslehre 
(1796) WW. II S.151£f., 195f£, und W.v.Humboldt, Ideen zu 
einem Versuche, die Grenzen der Wirksamkeit des Staates zu bestimmen. 
Gesammelte Werke VH. 
2) Vgl. namentlich J. St. Mill On liberty und H.Spencer Justice 
und The man versus the state.
	        
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