Achtes Kapitel. Die Lehren vom Zweck des Staates. 249
sequenzen von keinem ihrer Anhänger verfolgt wurde, ist prak-
tisch gleichbedeutend mit der Forderung der Staatslosigkeit.
Dies näher auszuführen, ist überflüssig, da nur oft Gesagtes
wiederholt werden könnte.
Wohl zu unterscheiden von diesen limitierenden Lehren sınd
jene Theorien, welche der Staatsgewalt insofern Schranken setzen,
als sie für die inhaltlich mannigfaltige Staatstätigkeit das Ge-
setz als Bedingung und Schranke fordern. In der antiken
Staatslehre entstanden, ıst diese Lehre selbst bei Hobbes zu
finden!) und steht im Mittelpunkt der praktischen Forderungen
Rousseaus, dessen Gemeinwille stets das allgemeine Gesetz
zum Inhalt hat, in dessen ausschließlicher Herrschaft die Freiheit
des Bürgers und die Rechtmäßigkeit der Staatsgewalt besteht. An
diese Theorie hat die neuere deutsche Lehre vom Rechtsstaat
angeknüpft.
Neben den Lehren vom einfachen absoluten Staatszweck gibt
es eine große Anzahl von Vereinigungsversuchen. Namentlich
die beiden Zwecke des Wohles oder Nutzens und des Rechtes
sind seit Cicero häufig zusammengestellt worden. Über das
Verhältnis beider pflegt nähere Untersuchung zu mangeln, so
daß in den Detailausführungen der eine oder andere Zweck als
der überwiegende, den anderen zurückdrängende auftritt?).
Die relativen Theorien, die den Staatszweck aus dem je-
weiligen Bewußtseinsinhalt eines Volkes und einer Zeit nehmen,
gehören der neuesten, von historischer Denkungsweise erfüllten
Zeit an. Die wichtigsten dieser Lehren stimmen darin überein,
daß alle Gemeinzwecke in den Bereich der Staatstätigkeit fallen ?).
1) De cive, XIII 15; Leviathan II chapt. XXI, namentlich p. 206:
„In cases where the sovereign has prescribed no rule, there the subject
hath the liberty to do, or forbear, according to his own discretion.“
2) Auch sie treten häufig in Verbindung mit den absoluten und den
Theorien vom objektiven Zweck auf, was zur Verwirrung in der ganzen
Lehre nicht wenig beigetragen hat.
®) Stahl Philosophie des Rechts II? S.150: Die Wirksamkeit des
Staates umfaßt die Totalität des menschlichen Gemeinlebens.. Mohl
Enzyklopädie S. 65ff.: Aufgabe des Staates ist es, die jeweiligen erlaubten
Lebenszwecke eines bestimmten und räumlich abgeschlossenen Volkes zu
fördern, und zwar vom einzelnen bis zur Gesellschaft, soweit von den
Betreffenden dieselben nicht mit eigenen Kräften befriedigt werden können
und sie Gegenstand eines gemeinsamen Bedürfnisses sind. Waitz
Politik S.5: Der Staat ist die Institution zur Verwirklichung der sittlichen