Full text: Allgemeine Staatslehre

262 Zweites Buch. Allgemeine Soziallehre des Staates. 
Anzeichen dafür vorhanden, daß die einzelstaatliche Zentralisation 
nicht deren höchste Form ist, da eine Reihe von Verwaltungs- 
geschäften bereits heute von den Einzelstaaten im internationalen 
Interesse nach vereinbarten Normen verwaltet wird. Die auf 
völkerrechtlichem Grunde ruhende ‚internationale Verwaltung‘ 
bestimmter Gebiete durch die Einzelstaaten, die bereits zu organi- 
sierten internationalen Verwaltungsvereinen geführt hat, bezeichnet 
einen bedeutsamen Schritt zu einer höheren Form der Zentrali- 
sation, der internationalen. 
Aber auch die Begriffe der Ergänzung, der Förderung, der 
Organisation und Leitung bedürfen an dieser Stelle noch einer 
Durchbildung nach der teleologischen Seite. Denn alle diese Funk- 
tionen können zu verschiedenen Zwecken verschieden gestaltet 
werden, und daher ist für die zutreffende Gestaltung die Aufsuchung 
eines Prinzipes notwendig. Auch hier gibt der vage Gedanke 
der Wohlfahrtsförderung keine Aufklärung. Die Wohlfahrt, und 
zwar sehr intensive Wohlfahrt einer großen Zahl kann durch 
Konservierung einer Institution, durch Abwehr jeglicher Neuerung 
für das gerade lebende Geschlecht im höchsten Grade gefördert 
werden. Wenn wir aber, fast möchte ich sagen: instinktiv, 
Hebung, Ausbildung, Vervollkommnung unserer Kultur von allen 
sozialen Institutionen verlangen, so stehen wir nicht mehr auf 
eudämonistisch-utilitarischem als vielmehr auf evolutionistischem 
Standpunkt. Von diesem aus kann das Wohlsein der Lebenden 
dem Wohlsein der Kommenden geopfert und selbst staatliche Tat 
gefordert werden, die unmittelbar in größerer Ausdehnung Ün- 
lust und Schädigung hervorruft. Wie alle Geburt, so ist auch 
jeder Fortschritt untrennbar mit Schmerz verbunden!). Fort- 
schreitende Entfaltung und reichere Ausbildung der menschlichen 
Kräfte, ungeachtet der Unlust, von der sie begleitet sein mögen, 
ist gemäß unserer modernen, durch die gesamte Wissenschaft 
bestimmten Weltanschauung der notwendige und darum an- 
zuerkennende Inhalt der Geschichte. An diesem Punkte berührt 
sich zwar empirische Geschichtsbetrachtung mit einer Metaphysik 
der Geschichte. Ohne eine solche kann aber eine teleologische 
Untersuchung der sozialen Phänomene nie gründlich vorgenommen 
werden, weil die letzten Zwecke des Menschlichen rein empirischer 
Forschung unzugänglich sind. Auch um die relativen, subjektiven 
  
1) Vgl. die interessanten Ausführungen von v.Philippovich, 
Wirtschaftlicher Fortschritt und Kulturentwicklung 1892 S.21£f.
	        
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