Neuntes Kapitel.
Entstehung und Untergang des Staates.
Um vom Wesen des Staates eine vollendete Vorstellung zu
erhalten, ist es notwendig, den Prozeß seines Entstehens und
Vergehens zu betrachten. Namentlich für die Fragen des Rechts-
charakters des Staates und der Natur und der Grenzen des öffent-
lichen Rechtes ist die klare Erkenntnis der staatsschöpfenden
und staatsvernichtenden Vorgänge von hoher Bedeutung.
I. Die Entstehung des Staates.
‚Hier sind zwei Fragen scharf zu scheiden: die nach dem
geschichtlichen Anfang der staatlichen Institution überhaupt und
dıe nach der Bildung neuer Staaten innerhalb der entwickelten
Staatenwelt. Wir wollen die erste Frage als die nach der pri-
mären, die zweite als die nach der sekundären Staatenbildung
bezeichnen.
Über die primäre Staatenbildung sind nur Hypothesen mög-
lich, die auch in großer Zahl aufgestellt worden sind. Um sie
zu würdigen, muß zweierlei beachtet werden. Zunächst, daß es
nicht so einfach ist, den Punkt zu bestimmen, von dem an-
gefangen ein ursprüngliches Gemeinwesen als Staat zu betrachten
sel. Unsere Staatsvorstellungen sind dem entwickelten, über 'seß-
hafte Menschen herrschenden Staate entnommen. Von ihm aus
erscheinen Organisationen von Nomadenstämmen noch nicht als
staatlicher Art. Anders aber, wenn wir die primitiven Verbände
unter entwicklungsgeschichtlichem Gesichtspunkte betrachten. Da
wird jede Organisationsform herrschaftlichen Charakters, die keine
höhere über sich hat, bereits als Staat aufzufassen sein.
Diese Vorgeschichte des Staates steht aber nur in losem
Zusammenhang mit dem späteren entwickelten Staate. Gerade
die primitiven Organisationen haben die Bedeutung des Zweck-
wandels am gründlichsten erfahren. Völlige Übereinstimmung
über diese ursprünglichen Typen wird kaum hergestellt werden,