Neuntes Kapitel. Entstehung und Untergang des Staates, 277
ihre Schöpfung zu. Der Kreationsakt des Staates liegt nicht
in ihrem, sondern in dem Willen jener konstituierenden Ver-
sammlung, deren Handlungen vor Errichtung des Staates recht-
lich überhaupt nicht qualifiziert werden können, weil die Rechts-
ordnung mangelt, an der sie zu messen wären. Erst wenn der
Staat gebildet ist, können diese Bildungsvorgänge nach rückwärts
rechtliche Bedeutung insofern gewinnen, als sie nunmehr nach
dem Rechte des neuen Staates so weit beurteilt werden, als sie
für dieses rechtliche Bedeutung gewonnen haben, wobei aber
der entscheidende Kreationsakt selbst natürlich stets außerhalb
des Rechtes als dessen Voraussetzung bleibt.
Selbst auf dem \Vege langsamer historischer Bildung kann
ferner ein Staat entstehen. Dies war der Fall mit den Terri-
torialstaaten des alten deutschen Reiches, die in solcher Eigen-
schaft von dem Reiche niemals ausdrücklich anerkannt waren.
Auch hier war aber der Staatenbildungsprozeß nicht rechtlich zu
messen. Er war beendet, der Schöpfungsakt vollzogen, sobald
die Überzeugung von der rechtlichen Ursprünglichkeit. der ge-
schichtlich aus der Reichssphäre stammenden Staatsgewalt zum
Durchbruch gekommen war. Die deutschen Landesherren be-
trachteten ihre Landeshoheit als ihnen von Gottes Gnaden, d. h.
rechtlich ursprünglich zustehend. Wie rechtliche Vorstellungen
mitwirkten, um solche Auffassung zu festigen, wird später näher
erörtert werden.
Es ist auch möglich, daß die Wirkungen staatsbildender
Akte den also Handelnden gar nicht zum klaren Bewußtsein
kommen. Die Heeres- und Behördenorganisation in Brandenburg-
Preußen seit dem Großen Kurfürsten hat aus den ‚preußischen
Staaten“ ın Wahrheit nach und nach ein einheitliches Staats-
gebilde geschaffen, was aber doch in voller rechtlicher Klarheit
erst nach der Lösung des Reichsverbandes hervortreten konnte!).
Niemand kann daher genau die Geburtsstunde des preußischen
Einheitsstaates bestimmen, denn es läßt sich nicht feststellen,
in welchem Augenblick die Sonderart der Teile gänzlich auf-
hörte. Genau dasselbe gilt von der österreichischen Monarchie,
1) Vgl. Bornhak Preußische Staats- und Rechtsgeschichte 1903
S. 146, 148. Noch 1779 konnte Schlözer an den Minister Zedlitz
schreiben: „Die preußische Monarchie ist ein Aggregat von größeren
und kleinen Staaten.‘ Vgl. Max Lehmann Freiherr vom Stein II
1903 S.18.