Full text: Allgemeine Staatslehre

Neuntes Kapitel. Entstehung und Untergang des Staates. 283 
jeweiligen konkreten Sachlage festzustellen. Allgemeine Sätze ver- 
mögen zweifelhafte Bildungen von unzweifelhaften kaum zu unter- 
scheiden. 
Unverändert aber bleibt ein Staat in solcher Eigenschaft, 
wenn er vermöge einer capitis deminutio von einem souveränen 
sich in einen nichtsouveränen verwandelt. Durch Eintritt in einen 
Bundesstaat verliert die Gewalt eines Staates das Merkmal der 
Souveränetät, behält aber alle wesentlichen Merkmale des Staates 
bei!). Die süddeutschen Staaten z. B. sind daher nach ilırem 
Eintritt in das Deutsche Reich dieselben Gemeinwesen geblieben, 
die sie früher waren. 
II. Der Untergang des Staates. 
Der Untergang eines Staates kann wie seine Entstehung ein 
bloß faktischer, außerhalb des Bereiches einer jeden Rechts- 
ordnung sich abspielender Vorgang sein. Wenn Naturereignisse 
das Gebiet eines Staates oder sein Volk zerstören, so hat es auch 
mit dem Staate ein Ende. Auch Aufhören des Daseins einer 
Staatsgewalt durch Wegfall der höchsten Organe oder deren 
Weigerung, ferner zu funktionieren, kann das faktische Ende des 
Staates durch Lösung der Verbandseinheit herbeiführen. Das 
hervorragendste Beispiel hierfür ist die Auflösung des römisch- 
deutschen Reiches im Jahre 1806. Die Niederlegung der Kaiser- 
krone durch Franz II. war mit nichten der Rechtsgrund der 
Auflösung des Reiches, da eine rechtswirksame Erklärung ‚‚das 
reichsoberhauptliche Amt und Würde durch die Vereinigung der 
konföderierten rheinischen Stände als erloschen und Uns dadurch 
von allen übernommenen Pflichten gegen das Deutsche Reich 
losgezählt zu betrachten‘, gar nicht in der Zuständigkeit des Kaisers 
gelegen war, und die faktische Losreißung der Rheinbundstaaten 
vom Reiche dessen Verband für die übrigen, den weitaus 
größeren Teil seines Gebietes umfassenden Territorien unan- 
getastet bestehen ließ. 
Rein faktischer Art ist ferner der Untergang eines Staates 
durch Gewaltakte, seien sie nun kriegerischer oder nicht- 
kriegerischer Art, wie einseitige, des Rechtsgrundes entbehrende 
Okkupationen (Teilung Polens) oder Revolutionen (mittel- und 
süditalienische Staaten 1860—1861). 
  
1) Die entgegengesetzte Ansicht wurde von mir früher, Lehre von 
den Staatenverbindungen S.30f., vertreten.
	        
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