Full text: Allgemeine Staatslehre

250 Zweites Buch. Allgemeine Soziallehre des Staates. 
Auch ein Wicderaufleben eines untergegangenen Staates ist 
möglich, wofern die Verbandselemente sich von neuem zusammen- 
fügen. Daß der wiederhergestellte Staat mit dem untergegangenen 
identisch sei, ist wiederum nur durch soziale, nicht durch formal 
juristische Betrachtung zu erkennen. Die Kontinuität und Dis- 
kontinuität der durch Absterben und Widererstehen eines Staates 
hervorgerufenen Rechtsverhältnisse kann nur gemäß einer über 
dem Rechte stehenden Billigkeit gemessen werden. Gerade 
solche Verhältnisse lehren deutlich, daß sozialer und rechtlicher 
Zusammenhang staatlichen Lebens nicht zusammenzufallen 
brauchen!). 
Wie die Existenz eines neuen kann auch der Untergang 
eines bestehenden Staates zweifelhaft sein. Das haben bereits 
die oben erwähnten Beispiele gelehrt. Zu ihnen treten aber 
hinzu jene, wo ein selbständiger Staat im Laufe der geschicht- 
lichen Entwicklung in einen anderen hinein-, mit einem anderen 
zusammenwächst. Das vornehmste Beispiel hierfür bietet die Ge- 
schichte Österreichs. Schon vor der pragmatischen Sanktion war 
es zweifelhaft, ob die verschiedenen habsburgischen Gebiete nicht 
einen Gesamtstaat bildeten; die pragmatische Sanktion hat die 
unlösliche Verbindung dieser Gebiete geschaffen, aber nicht den 
Einheitsstaat hergestellte Daß die Bildung des österreichischen 
Staates nicht von der ausdrücklichen Erklärung der Entstaat- 
lichung seiner Teile begleitet war, ist bereits hervorgehoben 
worden. In welchem Augenblick die böhmischen Länder den 
Staatscharakter gänzlich verloren haben, läßt sich mit voller 
Sicherheit nicht feststellen, zumal der scharfe, jede Unklarheit 
zu beseitigen strebende Staatsbegriff der Gegenwart noch dem 
18. Jahrhundert fremd ist. Ebenso ist das Dasein eines selb- 
ständigen ungarischen Staates zwischen 1687 und 1867 mehrmals 
zweifelhaft geworden und erst durch die Gesetze vom. letzt- 
genannten Jahre gegen jeden Zweifel sichergestellt. 
1) Um die rechtliche Kontinuität in solchen Fällen zu erklären, 
hat man zu der römischen Fiktion des Postliminiums seine Zuflucht ge- 
nommen. Über die völlige Halt- und \Wertlosigkeit dieser Konstruktion, 
die noch immer in den Systemen des Völkerrechts ihren Spuk treibt, 
vgl. die vortrefflichen Ausführungen von Brockhaus, v.Holtzen- 
dorffs Rechtslexikon III 3. Aufl., s. v. Postliminium S.97f.
	        
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