312 Zweites Buch. Allgemeine Soziallehre des Staates.
ist es im Altertum nie gekommen, wenn auch die Idee des
Menschen und der Menschheit zuerst in Hellas ihre philosophische
Vertretung gefunden hat, und wenn auch die Sklaverei in Athen
einen viel ınilderen Charakter an sich trug als ın Rom, ehe
stoische Lehren auch dort sie mäßigten, oder als die Neger-
sklaverei der neueren Zeit. Auch dem Fremden schlechthin war
nicht Persönlichkeit zuerkannt; allerdings ist auch hier die ur-
sprüngliche Rechtlosigkeit des Fremden im Fortschritte der Kultur
immer mehr eingeschränkt worden. In dieser Minderschätzung
der menschlichen Persönlichkeit wird man aber einen entschie-
denen Gegensatz auch nur zu dem Staate der Gegenwart erkennen.
Die altgermanische Rechtlosigkeit des Fremden und andere frühen
Kulturstufen eigentümlichen Verhältnisse der germanischen Völker,
die mannigfaltigen Abhängigkeitsverhältnisse der mittleren und
neueren Zeit, die Nichtduldung Andersgläubiger verbieten es,
den antiken Staat auch im Punkte der Wertung der Persönlichkeit
ohne Einschränkung tiefer zu stellen als die spätere Staatenwelt.
Erst das 19. Jahrhundert hat in den abendländischen Staaten
dem Satze: „Der Mensch ist Person‘ zum allgemeinen Siege
verholfen.
3. Der römische Staat.
Was von dem griechischen Staate gesagt wurde, gilt grund-
sätzlich auch von dem römischen, der ja auch aus einem Stadt-
staat hervorgewachsen war und die Spuren seines Ursprunges bis
In die späteste Zeit bewahrt hat. Auch der römische Staat ist
zugleich Kultgemeinschaft, das ius sacrorum ein Teil des ius
publicum. Der Staat ist ferner nach der Anschauung seiner
Mitglieder identisch mit der Bürgerschaft, er ist civitas, d. h. die
Bürgergemeinde, oder res publica, das gemeine Wesen, die Volks-
gemeinde. Im Begriffe des Bürgers überwog, auch in Rom das
Moment der aktiven Teilnahme am Staatsleben, um so mehr, als
Privatrechtsfähigkeit und ius suffragii et honorum ganz von-
einander getrennt sein konnten, wie der mündige filius familias
und der mit commercium begabte Latiner bewiesen. Auch der
römische Staat, trotz aller Erinnerung an sein Hervorgehen aus
verschiedenen gentes, erscheint von dem Augenblicke an, da er
in die Geschichte tritt, als vollendeter Staat, der von Hause aus
alle Kompetenzen hat, dem sie nicht erst durch geschichtliche
und rechtliche Vorgänge irgendwelcher Art zuwachsen. Daher