Full text: Allgemeine Staatslehre

Erstes Kapitel. 
Die Aufgabe der Staatslehre. 
1. Die wissenschaftliche Stellung der Staatslehre. 
Der Mensch ist seiner psychischen Seite nach in zweifacher 
Weise Gegenstand der Wissenschaft: entweder als 'Individuum 
oder als geselliges Wesen. Die Disziplinen der Geisteswissen- 
schaft!), welche die Aufgabe haben, die Erscheinungen des 
menschlichen Gemeinlebens allseitig zu erforschen, bilden in 
ihrer Gesamtheit die Gesellschafts- oder Sozialwissenschaften 2). 
Die Erscheinungen des menschlichen Gesellschaftslebens zer- 
fallen wiederum in zwei Klassen, nämlich in solche, denen ein 
einheitlicher, sie leitender Wille wesentlich ist, und in solche, 
die ohne eine aus ihnen hervorgehende Willensorganisation 
existieren oder doch existieren können. Die ersteren besitzen 
notwendigerweise eine planmäßige, von einem bewußten, auf sie 
gerichteten Willen ausgehende Ordnung im Gegensatz zu den 
letzteren, deren Ordnung auf anderen Kräften ruht. 
In:der Wirklichkeit der Dinge lassen sich zwar die beiden 
Arten sozialer Ordnung nicht streng isolieren, da in der un- 
  
1) An Stelle des überlieferten Gegensatzes von Natur- und Geistes- 
wissenschaft wird jetzt mit schwerwiegenden Gründen der andersgeartete 
von Natur- und Kulturwissenschaft zu setzen gesucht: Rickert Kultur- 
wissenschaft und Naturwissenschaft 1898 (2. Aufl. 1910); Die Grenzen 
der naturwissenschaftlichen Begriffsbildung 1902 (2. Aufl. 1913), was 
bereits von vielen Seiten Nachfolge gefunden hat; vgl. etwa H.U.Kan- 
.torowicz Rechtswissenschaft und Soziologie 1911 S. 21ff. Indes hat es 
unser Gegenstand mit Erscheinungen zu tun, die auch nach jener Ein- 
teilung zu Grenzgebieten gehören, deren gänzliche Einordnung unter eines 
der beiden Wissensgebiete nicht gelingt. Darum, und um die bereits be- 
stehende terminologische Verwirrung nicht noch mehr zu steigern, soll 
hier an den herkömmlichen Bezeichnungen festgehalten werden. 
2) Über Umfang und Einteilung der Gesellschaftswissenschaften han- 
delt zuletzt Georg v.Mayr Begriff und Gliederung der Staatswissen- 
schaften, 3. Aufl. 1910. 
1*
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.