Full text: Allgemeine Staatslehre

318 Zweites Buch.. Allgemeine Soziallehre des Staates, 
knüpfung des Gebietes mit. der Völkerschaft hat sich erst in 
historischer Zeit allmählich vollzogen. In der Art und Weise 
dieser Verknüpfung ist aber das Geschick des modernen Staates 
im voraus bestimmt worden. Während der antike Staat bis an 
sein Ende die Polis zum Mittelpunkt hatte, das Territorium selbst 
des römischen Weltreiches nur als von der Stadt abhängiges Ge- 
biet betrachtet wird, fehlt den germanischen Staaten dieser Mittel- 
punkt, ja der Mittelpunkt überhaupt. Der germanische Staat ist 
von Haus aus Landstaat, der ein persönliches, aber kein ding- 
liches Zentrum hat; der Sitz des Fürsten ist etwas Zufälliges, 
von der staatlichen Organisation gänzlich Unabhängigest). Damit 
ist aber von vornherein ein Mangel an Zentralisation gegeben. 
Straffe Organisation eines auf eine weite Fläche ohne bedeutende 
Zentren verteilten Volkes stößt namentlich in einer Zeit un- 
entwickelten Kommunikationswesens und überwiegender Natural- 
wirtschaft auf die größten Schwierigkeiten, und die dahin zie- 
lenden Versuche, so vor allem die karolingische Grafschafts- 
verfassung, bleiben ohne dauernden Erfolg. Gerade die großen 
Schwierigkeiten aber, die sich der Ausprägung der Einheit des 
völkerschaftlichen Lebens entgegenstellen, erwecken das Streben, 
dıe Zentralgewalt so sehr als möglich zu stärken, und so ent- 
steht mit dem Seßhaftwerden der Stämme das in seinen Anfängen 
nur ein der Landsgemeinde untergeordnetes Amt bezeichnende?) 
Stammeskönigtum, aus dem aber das ganze mittelalterliche König- 
tum sich entwickelt. Ohne Königtum, ohne Zusammenfassen 
der geringen Kräfte des damaligen Staates in einer Hand, 
wären die germanischen Staaten in politisch ohnmächtige Kantone 
zersplittert worden. Die germanische Welt ist daher eine mon- 
archische, und damit ist ihre ganze staatliche Entwicklung 
bis in die Gegenwart bestimmt. 
Das germanische Königtum entwickelt sich später dahin, daß 
es sich wesentlich aus zwei Elementen zusammensetzt, der per- 
sönlichen Herrschergewalt und dem Obereigentum an allem Grund 
und Boden. Beide Rechte sind von Haus aus nicht unbeschränkt. 
Neben dem Königsgericht bleibt das Volksgericht bestehen). Dem 
  
!) Brunner II 1892 S.95. 
?2) Vgl. Schröder S.26ff.; W.Schücking Der Regierungsantritt 
1 1899 S.1S£f. 
3) Vgl. Brunner II S. 137 #f.
	        
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