Full text: Allgemeine Staatslehre

‚ Zehntes Kapitel. Die geschichtlichen Haupttypen des Staates. 321 
ihre besonderen Beamten, Gerichte, Kassen, ja selbst Heere und 
Gesandten haben!). Unzähligemal wird, gestützt auf die Autorität 
des Aristoteles, von den Anhängern ständischer Herrschaft 
der Satz vom rex singulis maior, universis minor behauptet, 
der in der Sprache dieser Epoche nur dem gänzlichen Mangel 
der Vorstellung eines sowohl den rex als das regnum umfas- 
senden gemeinsamen Bandes Ausdruck gab. Hat doch in Deutsch- 
land sowohl die Gegenüberstellung als auch die Zusammenfassung 
von Kaiser und Reich bewiesen, daß man beide als eine Einheit 
nicht zu denken vermochte?). 
Der durch die Grundlagen seiner politischen Entwicklung 
beschränkte mittelalterliche Staat ist aber noch durch eine andere, 
dem antiken Staatswesen unbekannte Macht begrenzt. Seit dem 
Falle des weströmischen Reiches steht die Einheit der Kirche 
der Vielheit der sich neubildenden Staaten gegenüber. Wie immer 
ım Laufe der Zeiten das Verhältnis von Staat und Kirche sıch 
gestaltet hatte, stets war eine außerstaatliche, Gehorsam hei- 
schende, mit sicher wirkenden Mitteln ihn sich erzwingende 
Macht vorhanden, mit welcher der Staat zu rechnen hatte, um 
so mehr, als diese Macht in allen ihren Schicksalen den An- 
spruch auf Unterordnung des Staates unter ihre Autorität erhob. 
Ob nun die Kirche ihre Superiorität über den Staat bewährte, 
wie in den Kämpfen mit dem Kaiser vom 11. bis 13. Jahrhundert, 
oder ob sie widerwillig in den Dienst des Staates gezwungen 
wurde, wie in Frankreich im 14. Jahrhundert, unter allen Um- 
ständen war ein breites Gebiet menschlichen Gemeinlebens vor- 
handen, das der Herrschaft und dem Einfluß des Staates gänzlich 
entrückt war. 
Welche Versuche auch immer später gemacht worden sind, 
um den Dualismus von Staat und Kirche zu überwinden, so ist 
doch selbst bei dem ausgebildetsten Staatskirchentum der Unter- 
schied beider Mächte deutlich ausgeprägt und daher das Be- 
wußtsein herrschend, daß an der Lehre und Disziplin der Kirche 
der Staat seine feste Schranke habe. So verschiedenartig auch 
1) Vgl. für Deutschland Gierke Genossenschaftsrecht I S.535ff.; 
Rachfahl Die Organisation der Gesamtstaatsverwaltung Schlesiens 
1894 S.150£f.; ferner die vorzügliche Schilderung von v. Below 
Territorium und Stadt 1900 S. 248 ff. 
2) Nach den Untersuchungen von R. Smend allerdings bekam die 
Formel „Kaiser und Reich‘ dualistische Bedeutung erst später: Historische 
Aufsätze, Karl Zeumer als Festgabe dargebracht, 1910 S. 439 ££. 
G. Jellinek, Allg. Staatslehre. 3. Aufl. 91 
 
	        
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