Zehntes Kapitel. Die geschichtlichen Haupttypen des Staates. 327
civile gipfelt, ist die letzte Konsequenz des Strebens, den in sich
einheitlichen Staat zu konstruieren. Die moderne juristische
Theorie vom Staate hat diesen Gedanken dahin fortgebildet, daß
sie dem Staate das formelle Recht zuschreibt, nach seinem Er-
messen die Grenzen seiner Wirksamkeit zu bestimmen, so daß
prinzipiell nichts dem menschlichen Gemeinleben Angehörige
seiner regulierenden Macht entrückt ıst.
Der einheitliche, alle Öffentlichen Gewalten ın sich vereini-
gende und alles Recht seiner Glieder bestimmende Staat der
neueren Zeit hat sich uns als Ergebnis langsamen Wachstums
und eines langen, tiefgehende Spaltungen überwindenden Pro-
zesses dargestellt. Weit gefehlt aber wäre'es, daraus den Schluß
zu ziehen, der moderne Staat habe sich dem antiken nun völlig
angenähert, so daß zwischen beiden ein prinzipieller Gegensatz
nicht mehr besteht. Vielmehr hat die ganze historische Ent-
wicklung dem modernen Staat ein charakteristisches Gepräge
aufgedrückt, das ihn von allen früheren Staatsbildungen wesent-
lich unterscheidet. Jener Dualismus ist zwar überwunden worden,
hat aber bleibende, unverwischbare Spuren im Bau der heutigen
Staaten zurückgelassen, die uns erst durch die Kenntnis ihrer
Geschichte von Grund aus verständlich werden.
Vor allem zeigt sich das in der Stellung des Individuums
zum Staate. In der neueren Geschichte ist der einzelne oft viel
weitergehenden Beschränkungen durch den Staat unterworfen
gewesen als in der Blütezeit des antiken Staates. Im Altertum
aber mangelt durchaus das klare Bewußtsein eines positiv-recht-
lichen Anspruches auf eine Freiheitssphäre gegenüber dem
Staatet). Im Staate der neueren Zeit hingegen ist selbst in Epochen
von schrankenlosem Absolutismus niemals die Überzeugung
zu unterdrücken gewesen, daß das Individuum auch dem Staate
gegenüber eine selbstberechtigte und daher von ihm anzuerken-
nende sittliche und rechtliche Größe sei. Diese Überzeugung
ist die Frucht des doppelten Gegensatzes, der von dem modernen
Staate zu überwinden war und aus den Gedanken der Menschen
niemals gänzlich entschwunden ist. Der Gegensatz von König
und Volk wirkt heute noch nach in der Vorstellung, daß die
Staatsgewalt dem Volke gegenüber Grenzen habe, daß trotz recht-
1) Die obenerwähnten Spuren einer modernen Anschauung vermögen
die Geltung dieses Satzes nicht zu erschüttern.