Elites Kapitel.
Staat und Recht.
I. Das Problem des Rechtes.
Um das Verhältnis von Staat und Recht zu bestimmen,
muß zunächst von dem allseitig so schwer zu erfassenden Wesen
des Rechtes eine klare Vorstellung gewonnen werden. Zu diesem
Zwecke kann man einen doppelten Weg einschlagen. Entweder
man sucht dıe Natur des Rechtes als einer vom Menschen un-
abhängigen, in dem objektiven Wesen des Seienden gegründeten
Macht zu erforschen, oder man faßt es als subjektive, d.h. inner-
menschliche Erscheinung auf. Der erste \Weg ist der der meta-
physischen Spekulation. Diese will das von menschlichem Willen
unabhängige Dasein des Rechtes erkennen, jenes Rechtes, von
dem Grotius aussagte, daß es selbst dann gelten müßte, wenn
es keinen Gott gäbe, etiamsi daremus, quod sine summo scelere
darı non potest, non esse Deum. Allein es ist nicht unsere Auf-
gabe, den transzendenten Wert menschlicher Institutionen zu er-
kennen. Der hier befolgten Methode gemäß haben wir das Recht
nur als psychologische, d. h. innermenschliche Erscheinung zu
betrachten. Das Recht ist demnach ein Teil der menschlichen
Vorstellungen, es existiert in unseren Köpfen, und die nähere
Bestimmung des Rechtes hat Jahin zu gehen, welcher Teil unseres
Bewußtseinsinhaltes als Recht zu bezeichnen ist.
Kein Streit herrscht darüber, daß das Recht aus einer
Summe von Regeln für menschliches Handeln besteht. Diesen
Charakter besitzen aber auch die Vorschriften der Religion, der
Sittlichkeit, der Sitte. Worin liegt also das Charakteristische der
rechtlichen Regeln und Vorschriften ?
Da alle Handlungen auf bestimmte Zwecke gehen, so liegt
es nahe, in den spezifischen Zwecken des Rechtes sein Ünter-
scheidungsmerkmal von anderen normgebenden Mächten zu suchen.
Über diese Zwecke wird sich leicht Übereinstimmung herbei-