334 Zweites Buch. Allgemeine Soziallehre des Staates.
des Rechtes ruht daher in letzter Linie immer auf der Über-
zeugung von seiner Gültigkeit. Auf dieses rein subjektive
Element baut sich die ganze Rechtsordnung auf. Das ergibt sich
als notwendige Folge der Erkenntnis, daß das Recht in uns steckt,
eine Funktion der menschlichen Gemeinschaft ist und daher auf
rein psychologischen Elementen ruhen muß?).
Zur Geltung des Rechtes gehört es aber weiter, daß seine
psychologische Wirksamkeit garantiert ist. Garantiert ist ein Recht
aber dann, wenn die motivierende Kraft seiner Vorschriften durch
sozialpsychologische Mächte derart verstärkt ist, daß die Er-
wartung gerechtfertigt ist, daß jene Normen sich gegen wider-
strebende individuelle Motive als Bewegungsgründe des Handelns
durchzusetzen imstande sind. Die zivilistische Jurisprudenz hat
bis in die Gegenwart, den Spuren des Naturrechts folgend, in
der Regel den Zwang als einzige Garantie und damit als wesent-
liches Merkmal des Rechtes angesehen?). Geht man dem Begriffe
1) Diese Überzeugung ist die des Durchschnittes eines Volkes. Bei
allen massenpsychologischen Feststellungen werden notwendig die ent-
gegenwirkenden Akte einer Minderzahl vernachlässigt. Darum können
sich für das Individuum Konflikte ergeben, die mit den hergebrachten
juristischen Schablonen nicht zu lösen sind. Das zeigt sich namentlich
bei Konflikten zwischen staatlichen und religiösen Normen. Die Opfer
der spanischen Inquisition haben die Normen, auf deren Grund sie
verurteilt wurden, schwerlich als Recht empfunden. Daß es unrecht
sei, seinen von dem der herrschenden Kirche abweichenden Glauben
frei zu bekennen, war die Überzeugung der Unterdrückenden, nicht der
Unterdrückten, die die Strafe als brutale Gewalt, nicht als Recht zu
erkennen vermochten. Daraus ergibt sich die für eine soziale Be-
trachtung von Staat und Recht höchst bedeutsame Möglichkeit eines
Widerstreites in den Anschauungen über die Rechtsqualität bestimmter
Teile der staatlichen Ordnung, der auf den Lebensprozeß der Rechts-
ordnung tiefen Einfluß zu üben vermag. Der Jurist allerdings kann
mit diesem \Widerstreit nicht rechnen, solange er sich auf einen geringen
Kreis von Personen und vereinzelte Fälle beschränkt. Erreicht er aber
eine gewisse Stärke und Umfang, dann wird die Frage aufgeworfen
werden müssen, ob nicht derogatorisches Gewohnheitsrecht die bekämpfte
Norm auch formell beseitigt hat.
2) Daß praeceptum und sanctio legis logisch auseinanderzuhalten
und daher die naturrechtliche Identifizierung von Rechts- und Zwangs-
:norm unrichtig sei, ist in der neueren Literatur so oft hervorgehoben
worden, daß die Lehre, welche die Erzwingbarkeit als Essentiale des
Rechtsbegriffes erklärt, heute bereits in eine schwer zu behauptende
Defensive zurückgedrängt ist. Vgl. Bierling Kritik I S.139ff., Thon