Erstes Kapitel. Die Aufgabe der Staatslehre. 5
lich mit der Erforschung des Staates und der von ihm als seine
Glieder in seinen Bau aufgenommenen oder zugelassenen Ver-
bände zu tun. Mit seinen Beziehungen zu anderen sozialen Ge-
bieten hingegen hat sie nur insoweit zu schaffen, als die bewußte
Tätigkeit des Staates auf diese Gebiete, sei es regulierend, sei
es fördernd, gerichtet ist. So gehört z. B. das Unterrichtswesen
nur insoweit zur Staatswissenschaft, als es vom Staate geleitet
oder beeinflußt wird, während die technische Seite dieser öffent-
lichen Tätigkeit von anderen Disziplinen, z. B. der Pädagogik,
behandelt wird, die den Gesellschaftswissenschaften der zweiten
Ordnung ausschließlich zuzuweisen sind. Gibt es nun auch
kaum ein Gebiet menschlicher Gemeintätigkeit, das nicht in Be-
ziehungen zum Staate stünde, so folgt daraus zwar, daß die
Staatswissenschaften wesentliche Beziehungen zu den anderen
Sozialwissenschaften haben, nicht aber, daß diese gänzlich in
jenen aufgehen sollen.
Gemäß der Mannigfaltigkeit, die der Staat darbietet, gibt
es eine Vielheit von Gesichtspunkten, unter denen er betrachtet
werden kann. Daraus ergibt sich die Notwendigkeit der Spezialı-
sierung der Staatswissenschaft. Sie ist erst durch die fort-
schreitende Erkenntnis allmählich zum Bewußtsein gekommen.
Wie die meisten Wissensgebiete, die später in eine Vielheit von
Disziplinen zerfällt worden sind, hat sie ihre Geschichte als
einheitliche Lehre begonnen. In dieser Form tritt sie uns bei
den Hellenen entgegen. Ihnen ist die Politik die Kenntnis der
zölıs und des auf diese gerichteten Handelns ihrer Glieder nach
allen Seiten, so daß dieser Ausdruck nicht mit dem modernen
gleichlautenden, wiewohl von dem antiken abstammenden, ver-
wechselt werden darf. In dieser Lehre ist aber das Bewußtsein
der mannigfaltıgen zu unterscheidenden Beziehungen und Seiten
des Staates entweder nicht oder doch nicht in völlig klarer Weise
enthalten. Unter dem bestimmenden Einfluß antiker Vorstellungen
hat sich nun vielfach bis in die Gegenwart herab die Gleich-
setzung von Staatswissenschaft und Politik terminologisch be-
hauptet, namentlich. bei den romanischen Völkern und den Eng-
ländern, bei denen science politiquet), scienza politica, political
science oder politics usw. den ganzen Umfang der Staatswissen-
schaft bezeichnet und eine Spezialisierung innerhalb dieser so
1) Neuerer Zeit allerdings auch im Plural gebraucht. So sprechen
die Franzosen von sciences morales et politiques.