Full text: Allgemeine Staatslehre

342 Zweites Buch. Allgemeine Soziallehre des Staates, 
seien. Wo diese Überzeugung ausbleibt, da kann die faktische 
Ordnung nur durch äußere Machtmittel aufrechterhalten werden, 
was auf die Dauer unmöglich ist; entweder tritt schließlich 
doch Gewöhnung an sie ein, oder die rein äußerliche Ordnung 
selbst bricht in Stücke. Wo aber einmal das Gegebene durch 
die in Form der Gewohnheit sich äußernde Anerkennung zur 
Norm erhoben ist, da werden die dem außen Stehenden selbst 
noch so unbillig dünkenden Zustände als rechtmäßig empfunden. 
Das zeigt namentlich die Geschichte der Unfreiheit, indem z.B. die 
mannigfach abgestuften Abhängigkeitsverhältnisse des Mittelalters 
Jahrhunderte hindurch allseitig, also auch von den Ünfreien 
selbst, nicht nur als faktisches Unterworfensein, sondern als 
rechtliche Institution anerkannt wurden. 
Damit ist uns der Weg gebahnt, die Stellung der Staats- 
gewalt zum Rechte, die Möglichkeit eines Rechtes für die Staats- 
gewalt, d. h. des Staatsrechtes, zu begreifen. In der überwiegend 
großen Zahl der Fälle beruht die Bildung neuer Staatsgewalten 
auf Vorgängen, die jede Möglichkeit rechtlicher Qualifikation von 
vornherein ausschließen. Offene Gewalt in den mannipgfaltigsten 
Formen ist der häufigste Grund der Bildung und Auflösung der 
Staaten gewesen. Aber selbst da, wo die Entstehung eines 
Staates durch rechtliche Akte vorbereitet ıst, fällt, wie früher 
nachgewiesen, der Vorgang der Entstehung selbst außerhalb des 
Rechtsgebietes. Nicht minder sind tiefgreifende Änderungen im 
Bau der Staaten durch Gewaltakte vollzogen worden, durch Re- 
volutionen und Staatsstreiche. Bei Änderung der faktischen Macht- 
verhältnisse der obersten staatlichen Organe prägt sich das neue 
Verhältnis unvermeidlich, selbst wenn kein Buchstabe der Ver- 
fassung geändert wird, in den Institutionen deutlich aus. Es gibt 
kein englisches Gesetz, das die parlamentarische Regierungsform 
eingeführt hätte; die königliche Prärogative ist seit der Bill of 
Rights nicht wesentlich durch Statut geändert worden. Die 
Schwäche der landfremden hannöverschen Dynastie und die 
faktische Macht des Parlaments haben allmählich das heutige 
Verhältnis von Krone und Unterhaus herbeigeführt. 
Die Umwandlung der zunächst überall rein faktischen Macht 
des Staates in rechtliche erfolgt stets durch die hinzutretende 
Vorstellung, daß dieses Faktische normativer Art sei, daß es so 
sein solle, wie es ist. Also rein innerlich, in den Köpfen der 
Menschen vollzieht sich dieser Prozeß. Wer die richtige Er-
	        
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