366 Zweites Buch. Allgemeine Soziallehre des Staates.
sationen sind die einzigen Mächte auf der betreffenden Kultur-
stufe, die den als Recht empfundenen Normen die notwendigen
äußeren Garantien ihrer Verwirklichung zu geben vermögen.
Damit ist aber keineswegs gesagt, daß nun alles Recht
Sache des sich weiterentwickelnden Staates geblieben sei. Nur
da, wo es einen einzigen Verband gibt, würde bei der Not-
wendigkeit sozialer Organisation für Dasein und Aufrechterhaltung
der Rechtsordnung der Staat einzige Quelle des Rechtes oder
doch der Rechtsverwirklichung sein. Es bildet sich aber vielmehr
alles Recht zunächst im engeren Verbande aus, um erst später
den weiteren zu ergreifen. Das älteste Recht der abendländischen
Kulturvölker hat sich in der engeren oder weiteren Familie ent-
wickelt, sowie auch die mit der Bildung aller Verbände anfänglich
innig verknüpfte Religion zuvörderst Familienkult ist und sodann
zum Stammeskult fortschreitett). Das Öffentliche Recht hat in
der Epoche der Entstehung des über die primitiven Bildungen
hinausgehenden Staatswesens der arischen Völker mehr den
Charakter des Bundesrechtes einer Mehrheit von Familien, deren
Autonomie auf den nicht bundesrechtlichen Gebieten fortdauert?).
Ebenso verhält es sich aber später mit den Gliedern kompli-
zierter Staaten. Wo der Staat aus Stämmen, sei es gleichberech-
tigten oder unterworfenen, zusammengesetzt ist, da wird in der
Regel den Gliedern ein weitgehendes Maß selbständiger Rechts-
bildung überlassen. Die alten und neuen Weltreiche konnten und
können sich nur dadurch behaupten, daß unterworfenen Völkern
ihr eigenes Recht in einem bestimmten Umfange verbleibt. In
Zeiten schwach entwickelter Staatsgewalt findet in alten und
neuentstehenden Verbänden im Staate ein reicher Prozeß der
Rechtsbildung und Rechtsverwirklichung statt. Im Staate ist aber
stets eine Tendenz vorhanden, alle Machtmittel untergeordneter
Verbände in sich aufzusaugen, und der so entstehende Prozeß
endet damit, daß der Staat schließlich zum alleinigen Inhaber
der Herrschergewalt wird. Dadurch wird zwar nicht die gesamte
Rechtsbildung, wohl aber der rechtlich geordnete Rechtsschutz
Sache des Staates. Die Gerichtsgewalt geht ausschließlich in
seine Hände über, und alle Gerichtsbarkeit ist daher zuletzt
entweder ihm zugehörig oder von ihm geliehen. Damit wird es
1) Vgl. für die Verhältnisse der Arier H.S.Maine Ancient Law
14 ed. p. 166 ff.
®) F. de Coulanges p.127£f. lv. II chap.X 4.