Elftes Kapitel. Staat und Recht. 367
endlich des Staates Recht, alles innerhalb seiner Grenze geltende
Recht zu regulieren, so daß im modernen Staate alles Recht in
staatlich geschaffenes und staatlich zugelassenes Recht zerfällt?).
Auch heute gibt es eine Fülle von Verbänden, die sich
unabhängig vom Staate ihr Recht setzen, so die Kirchen und
alle Gattungen von Vereinen?). Diesem nichtstaatlichen Rechte
stehen auch jene rechtlich nicht geordneten, nicht unter den Be-
griff des Rechtszwanges zu subsuinierenden sozialen Garantien
in größerem oder minderem Umfange zur Seite. Allein der auch
solches Recht zu verwirklichen bestimmte Rechtszwang steht
als Ausfluß der Herrschergewalt ausschließlich dem Staate zu.
Daher kann das Verbandsrecht den Verbandsmitgliedern gegen-
über nur kraft staatlicher Verleihung oder Anerkennung in Form
der Autonomie den Charakter objektiven Rechtes annehmen, und
nur durch des Staates Willen kann das Verbandsrecht auch ihm
gegenüber den Charakter objektiven Rechtes, d. h. den eines
Teiles der staatlichen Rechtsordnung selbst, erhalten. Die Schöp-
fung objektiven Verbandsrechtes ist heute ausschließlich Sache
des Staates geworden?).
3. Die Bindung des Staates an sein Recht.
Die Rechtsordnung des Staates ist Recht für die ihm Uhnter-
worfenen. Ist sie aber auch Recht für den Staat selbst?)
—
1) Diesen Satz mißversteht Krabbe, S.141f., offenbar. Selbst-
verständlich muß der Richter auch das zugelassene Recht anwenden;
aber die Schaffung jenes Rechts überläßt der Staat anderen Personen.
2) Über das Kirchenrecht vgl. meine näheren Ausführungen System
S.272if.; Der Kampf des alten mit dem neuen Recht 1907 S. 12£f.
(Ausg. Schriften und Reden I 1911 S..398£f.); W.Schoenborn Kirche
und Recht (Internat. Monatsschrift für Wissenschaft, Kunst und Technik
VI 1912 S.619ff.). Die Selbständigkeit des Kirchenrechtes zutreffend
hervorgehoben von U.Stutz, Die kirchliche Rechtsgeschichte 1905
Ss. 11, 37 £f.
%) Rehm wendet sich, a.a.0. S.32ff., gegen diese ‚„Duldungs-
theorie“ mit der Behauptung eines vom Staate unabhängigen Rechts der
im Staate befindlichen Verbände. Wohl zu Unrecht. Man denke sıch
einen Augenblick den übergeordneten Staat weg, und alles Recht fällt in
sich zusammen. Es kann allerdings ein Verbandsrecht bestehen bleiben;
der Verband beweist aber dadurch, daß er mehr war als ein gewöhnlicher
Verband: er war Staat im Staate.
4) Für Seidler, Jur. Kriterium S.44, existiert dieses Problem
nicht, weil er, den Spuren Gierkes folgend, annimmt, daß der Staat mit
und in dem Rechte geboren ist und nur fortdauernd im Rechte leben