Full text: Allgemeine Staatslehre

368 Zweites Buch. Allgemeine Soziallehre des Staates. 
Ausgehend von dem Satze, daß der Staat jede Rechtsnorm 
von Rechts wegen zu ändern vermöge, behaupten auch heute noch 
viele, daß der Staat selbst durch sein Recht nicht verpflichtet 
werden könne. Im öffentlichen Recht seien zwar Imperative 
an die Staatsorgane vorhanden, der Staat selbst aber könne 
sich nichts befehlen. 
Um die aufgeworfene Frage zu lösen, muß man die dürftigen 
Werkzeuge juristischer Handlangerarbeit, die allerdings manche, 
die sich mit diesem Problem beschäftigen, allein zu handhaben 
verstehen, beiseite legen!). Sie ist, um den von mir vor- 
geschlagenen Ausdruck zu gebrauchen, metajuristischer Natur?). 
  
kann. Dem widersprechen die gewaltigen Revolutionen und gewaltsamen 
Staatenbildungen der Neuzeit von Grund aus, die sich mit jenem Lehr- 
satz gewiß nicht erklären lassen. An der geschichtlichen Realität zer- 
schellen alle derartigen Spekulationen, die eine der schwierigsten Fragen 
der Rechtslehre beiseite schieben, aber nicht lösen. Zudem bezeichnet 
'Seidler, S.41, das Recht als von der Staatsorganisation mit der Kraft 
ihres Willens erfüllt, die vermöge threr Autorität dessen Beobachtung 
befiehlt. Dieses entwickelte Recht ıst es sicherlich niemals, unter dem 
der Staat steht; was Seidler im Auge hat, ist ein psychisches Verhalten, 
das noch nicht Recht ist, sondern erst durch den vielleicht durch recht- 
lose Gewalt entstandenen Staat Recht werden kann. 
1) Es sei hier auch auf die fortwährend von Neueren, jetzt auch 
namentlich in der französischen Literatur, viel diskutierten Ausführungen 
über die staatliche Selbstverpflichtung in meinen früheren Werken ver- 
wiesen. Sie findet fortdauernd energische Anhänger. Die neuere Polemik 
gegen sie kommt jedoch nicht über den von mir bereits eingehend 
(Die rechtliche Natur der Staatenverträge S.9ff.) gewürdigten, an der 
Oberfläche des Problems stehenden naturrechtlichen Einwand der Un- 
möglichkeit einer Selbstbindung der als streng isoliert gedachten Staats- 
persönlichkeit hinaus. Neuere sehr eingehende Kritiken bei Duguit 
L’Etat I p.110ff, Kelsen Hauptprobleme S.395ff,, und bei Hold 
v.Ferneck S.186ff. Letzterem zufolge ist (S. 73ff.) die ethische Macht 
dem einzelnen etwas von außen Kommendes und jede Pflicht mit Zwang 
verbunden, daher jede Pflicht ein fremdes Gebot sei. Von diesem die 
sittliche Autonomie und daher jede Ethik in höherem Sinne verwerfenden 
Standpunkt gibt es natürlich keine wie immer geartete Selbstverpflich- 
tung. Aber auch ebensowenig irgend andere Begründungen der letzten 
ethischen und rechtlichen Probleme als auf fatalistische Unterwerfung 
unter eine fremde göttliche oder physische Übermacht, Begründungen, die 
ja so oft versucht wurden und stets mißlungen sind. Vgl. auch die 
treffenden Bemerkungen von M.E.Mayer Rechtsnormen und Kultur- 
normen 1903 S.35 N. 6, 
2) Vgl. Die rechtliche Natur der Staatenverträge S.3 N.3. Daß die 
Selbstbindung des Staates nur den letzten rechtlichen Grund seiner
	        
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