Full text: Allgemeine Staatslehre

370 Zweites Buch. Allgemeine Soziallchre des Staates. 
wendige Berechenbarkeit seiner Handlungen und ihrer Folgen; 
sie ist eine nicht zu umgehende Bedingung stetiger Kulturent- 
wicklung, da sie allein das soziale Vertrauen schafft, ohne welches 
der Verkehr zwischen Menschen sich kaum über niedrige Anfänge 
zu erheben vermag!). 
Es liegt nun in jedem Rechtssatz zugleich die Zusicherung 
an die Rechtsuntertanen verborgen, daß er für die Dauer seiner 
Geltung auch den Staat selbst verpflichte. Der Befehl an seine 
Organe, den Rechtssatz zu handhaben, ıst nicht reine Willkür 
des Staates, wie die gegenteilige Theorie, will sie konsequent 
sein, behaupten muß, sondern Erfüllung einer Pflicht. Der Staat 
verpflichtet sich im Akte der Rechtsschöpfung, wie immer dieses 
Recht entstehen möge, gegenüber den Untertanen zur Anwendung 
und Durchführung des Rechtes. 
Solche Bindung des Willens an die von ihm einseitig ab- 
gegebene Erklärung ist schon dem Privatrecht nicht fremd. Daß 
das Versprechen, auch wenn es nicht von anderer Seite an- 
genommen ist, Verpflichtungsgrund sein kann, ist von alters her 
anerkannt?). Einseitige Willensbildung aber ist die Form, durch 
  
1) Die Lehre Jherings, Zweck im Recht I, 4. Aufl. S. 262f., daß 
die Rechtsnormen sich formell nur an die Staatsorgane wenden, würde zu 
dem Resultat führen, daß sie als bloß innerhalb der Staatsorganisation 
wirksam, überhaupt nicht Recht erzeugen. Dagegen treffend Merkel, 
Ges. Abhandlungen Il 1899 S.586, und in eingehender Ausführung 
M.E.Mayer, a.a.0. S.38ff. Über neuere Vertreter der Jhering’schen 
Lehre W.Jellinek Gesetz, Gesetzesanwendung S. 21f£f. 
2) Selbst das klassische Recht hat die verpflichtende Kraft der 
pollicitatto und des votums (vgl. D. de pollicit. 50, 12) anerkannt, trotz- 
dem sie seiner Grundauffassung von der Entstehung obligatorischer Ver- 
hältnisse aus Willenserklärungen widersprach. Daß aber die im modernen 
Rechte in großem Umfange vorhandene Möglichkeit der Verpflichtung 
durch einseitiges Versprechen in keiner Weise unlogisch sei, hat Siegel, 
Das Versprechen als Verpflichtungsgrund im heutigen Recht 1873 S. 45 ff., 
eingehend dargetan. Zurückzuweisen ist der formalistische Einwand, 
daß die Verpflichtung des einzelnen auf höherem Willen der staatlichen 
Rechtsordnung beruhe und daher für die Möglichkeit staatlicher Selbst- 
verpflichtung nichts beweise; vgl. etwa Krabbe Rechtssouveränität S.8. 
Es handelt sich vielmehr um den Nachweis, daß Bindung einer Person 
an ihre einseitige Erklärung unseren Rechtsüberzeugungen keineswegs 
widerspricht, die, wie ausdrücklich hervorgehoben, die tiefste und 
höchste Quelle allen Rechtes auch für ‘den Staat sind und daher das 
Fundament der Erkenntnis von Rechten und Pflichten des Staates selbst 
bilden.
	        
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