Elftes Kapitel. Staat und Recht. 313
vom Parlamente vernommen!). Diese Äußerungen parlamen-
tarıscher Omnipotenz sind in England formell niemals abgeschafft
worden, und wenn sich auch vereinzelte Stimmen gegen sie
erhoben hatten, so ist doch von juristischer Seite ihre Zulässigkeit
früher nicht bestritten worden?). Es unterliegt aber wohl keinem
Zweifel, daß heute eine derartige Bill als ungeheuerlicher Rechts-
bruch betrachtet werden würde, als Mißbrauch der Rechtsformen,
nicht eben bloß als ein ius iniquum. Solche Gesetze verstoßen
nach heutiger Rechtsanschauung gegen anerkannte Rechtsgrund-
sätze, die dem englischen Recht als Basis dienen; sie stehen in
Widerspruch mit dem Teil des common law, von dem die Eng-
länder oft behauptet haben, daß es selbst durch Parlaments-
statut nicht geändert werden könne. Die Amerikaner haben dieser
modernen Rechtsüberzeugung dadurch Ausdruck gegeben, daß sie
das strikte Verbot der Strafbills in ihre Verfassung aufgenommen
haben).
Solche Fälle lehren selbst den Wiıderstrebenden deutlich,
daß auf einer höheren Stufe der Rechtsentwicklung sogar auch
die rechtschaffende Tätigkeit des Staates rechtlich gewertet werden
kann. Der Akt der Rechtsschöpfung, selbst wenn das also Ge-
schaffene rechtsbeständig ist und bleibt, kann einen Rechtsbruch
in sich schließen. Jedes verfassungswidrige Gesetz in den
Staaten, die dem Richter kein Prüfungsrecht der Gesetze auf
ihre materielle Verfassungsmäßigkeit zugestehen, ist ein weiteres
Lebenserinnerungen I 1906 S. 254, 279) und die wirkungslose Verhängung
des Kriegszustandes in Kurhessen 1850 (Bähr Rechtsstaat 1864 S. 154).
Ersterenfalls wäre die bill gültig, andernfalls ungültig wegen Machtlosig-
keit. Aber auch die Gültigkeit einer Strafbill steht ihrer Rechtswidrigkeit
nicht im Wege, sofern mit ihrem Erlasse ein Verbot übertreten wird, das
Rechtseinrichtungen oder gesellschaftliche Anschauungen einigermaßen
gewährleisten. — Geller, Österr. Zentralblatt f. d. jur. Praxis XXVII 1909
S.177ff., geht so weit, gegenüber dem Mißbrauch der gesetzgebenden
Gewalt eine Klage auf Entschädigung oder auf Aufhebung des rechts-
widrigen Gesetzes zuzulassen; das österreichische Reichsgericht war aber
anderer Ansicht. — Gute Bemerkungen auch bei W. Wilson, Der Staat
1913 S. 450 ff.
!) Namentlich unter Heinrich VIIL, in dessen Hand die von ge-
fügigen Parlamenten beschlossenen bills of attainder furchtbare Waffen
hildeten.
2) Noch Cox, p.392, behandelt sie als in Kraft befindliches Rechts-
institut.
3) Const. of the U.St. Art.1I sect. IX 3.