Full text: Allgemeine Staatslehre

376 Zweites Buch. Allgemeine Soziallehre des Staates. 
gefaßt war, tritt zu Beginn der neueren Zeit, in bedeutenderem 
Maße seit dem westfälischen Frieden, in ungeahnter Ausdeh- 
nung aber erst im abgelaufenen Jahrhundert, die Idee und das 
Bewußtsein eines Völkerrechtes auf. Dieses Völkerrecht ist das 
Recht, welches die Staaten in ihren internationalen Beziehungen 
bindet, also ein Recht, das dem nach außen handelnden Staat 
als objektives Recht entgegentritt. 
Über Möglichkeit und Dasein des Völkerrechtes ist viel 
gestritten worden. Selbstverständlich wird es von denjenigen, die 
ausschließlich mit den alten zivilistischen Schablonen an das 
Problem herantreten, verworfen. Die letzte Entscheidung über 
sein Dasein liegt aber bei den Gemeinwesen, für welche es gelten 
soll, bei den Staaten. Erkennen diese das Völkerrecht als für 
sie bindend an, dann ist bei der psychologischen Natur alles 
Rechtes die feste Basis für seine Existenz gegeben. Daß diese 
Anerkennung aber von seiten der Mitglieder der Staatengemein- 
schaft vorhanden ist, darüber kann heute kein Streit mehr 
herrschen). 
Aber nicht nur die Grundlage, auch die Gesamtheit der 
anderen Merkmale des Rechtes sind beim Völkerrecht gegeben. 
Der wesentliche Unterschied des Völkerrechts von dem Staats- 
rechte liegt darin, daß in jenem keine Verhältnisse der Über- 
und Unterordnung reguliert werden, es vielmehr ein Recht 
zwischen Koordinierten ist. Und zwar sind dıe das Völkerrecht 
setzenden Autoritäten und zugleich die von ıhm verpflichteten 
Subjekte die Staaten selbst. In deren gegenseitigen Beziehungen 
hat zuerst, wie auf anderen Rechtsgebieten, das historische Ele- 
ment des Rechtsbegriffes seine Wirkung geäußert. Das Faktum der 
Beobachtung von Regeln ım internationalen Verkehr hat zu der 
Vorstellung ihrer rechtlich verpflichtenden Kraft geführt. Hinzu- 
getreten sind sodann ausdrückliche Vereinbarungen von Rechts- 
regeln durch die Staaten, durch welche sie den Forderungen 
der rationalen rechtschaffenden Kräfte de lege ferenda stattgebend, 
die Weiterbildung der internationalen Rechtsordnung gefördert 
ln 
1) Vgl. die näheren Ausführungen in meinen früheren Arbeiten: 
Die rechtl. Natur der Staatenverträge S. 46ff. und System d. subj. öff. R. 
S. 310ff. Aus der neuesten Literatur übereinstimmend Ullmann Völker- 
recht S.3£. und v.Liszt Völkerrecht S.3, Heilborn in Kohlers 
Encyklopädie II S. 978 u. im Handbuch d. Völkerrechts, herausgegeben von 
Stier-Somlo, I 1912 S. 25 ff.
	        
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