Erstes Kapitel. Die Aufgabe der Staatslehre. 9
die Sozialgeschichte, die von den gesellschaftlichen Vor-
gängen handelt, die nicht unmittelbar politischer Art sind, ist bei
dem objektiven Zusammenhang aller sozialen Erscheinungen von
großer Bedeutung für die Lösung der theoretischen Probleme
der Staatswissenschaften.
An die Geschichte schließt sich an die Staatenkunde
und der auf die staatlichen Verhältnisse sich beziehende Teil
der Statistik — die politische und Verwaltungsstatistik —,
jene die Beschreibungen der Institutionen der verschiedenen
Staaten der Gegenwart und jüngsten Vergangenheit lehrend, diese
als „die exakte Erforschung derjenigen Seiten des Staats- und
Gesellschaftslebens, die einer zahlenmäßigen Behandlung zugäng-
lich sind‘ t), | |
Die erklärende Wissenschaft vom Staate ist die theore-
tische Staatswissenschaft oder Staatslehre, deren Aufgabe Er-
kenntnis der Erscheinung des Staates nach allen Richtungen
seines Daseins ist. Sie ist auch beschreibende Wissenschaft, in-
sofern sie die Merkmale des Staates und seiner Erscheinungs-
formen feststellt. Aber diese Beschreibung ist zugleich Erklärung.
Denn es handelt sich bei ihr um ein nicht der Sinnenwelt an-
gehöriges, sondern erst durch wissenschaftliche Forschung fest-
zustellendes und zum Bewußtsein zu bringendes Objekt, das eben
nur dadurch beschrieben werden kann, daß man es zu erklären
unternimmt. Überdies hat die kausale Erklärung auf diesem
Gebiete viel engere Grenzen, als sie einer naturwissenschaftlichen
Disziplin gesteckt sind, da sie, wie weiter unten eingehend dar-
gelegt werden wird, niemals die kausalen Zusammenhänge all-
gemein gültigen Gesetzen unterzuordnen vermag.
2. Die Gliederung der Staatslehre:
Die theoretische Staatswissenschaft oder Staatslehre zerfällt
in die allgemeine und besondere Staatslehre®). Die all-
gemeine Staatslehre sucht das Fundament der gesamten Staats-
lehre zu legen, indem sie die Erscheinung des Staates überhaupt
sowie die Grundbestimmungen, die er darbietet, wissenschaftlicher
!) Lexis im Handwörterbuch der Staatswissenschaften, 3. Aufl., Art.
Statistik VII S. 827.
2) Das Allgemeine Staatsrecht Hatscheks (I 1909 S.20) entspricht
etwa dem, was im Texte der besonderen Staaislehre zugewiesen wird.
Das umfangreiche Fragment einer besonderen Staatslehre ist abgedruckt