390 Drittes Buch. Allgemeine Staatsrechtslehre.
Eine scharfe Scheidelinie zwischen Staats- und Verwaltungs-
recht. läßt sich ebensowenig ziehen wie zwischen Staats- und
Justizrecht. Der Unterschied beider ist ein quantitativer, kein
qualitativer. Das Verwaltungsrecht umfaßt die Lehre von dem
die Verwaltung beherrschenden objektiven Rechte, von den
Rechtsverhältnissen der Verwaltung und von den gegenseitigen
Rechten und Pflichten des verwaltenden Staates und der Sub-
jizierten!). Es läßt sich aber keine vollkommene Untersuchung
des Staatsrechtes denken, die von diesen Materien gänz-
lich abstrahierte. Eine jede Darstellung des Rechtes irgendeines
Staates muß die Lehre von der Verwaltungsorganisation, den
Verwaltungsbeamten, dem Verhältnis der Verwaltung zu Gesetz
und Verordnung, der rechtlichen Natur der Verwaltungsakte er-
örtern. Dem Verwaltungsrechte ist daher die detaillierte Unter-
suchung und Darstellung gewisser Partien des Staatsrechts ım
weiteren Sinne zuzuweisen. Die Lehre von der Justizorganisation
und Justizverwaltung wird zudem aus praktischen Gründen in
dem Justizrecht abzuhandeln sein?).
Was nach Abzug von Justiz- und Verwaltungsrecht übrig
bleibt, ist das Staatsrecht im engeren Sinne. Es ist nach dem
Vorgange der Franzosen, die dem ‚droit administratif‘ das ‚droit
constitutionnel‘‘ gegenüberstellen, auch als Verfassungsrecht be-
zeichnet worden. Das ist jedoch ein irreführender, das Wesen
der Sache nicht treffender Ausdruck. Mag man das Wort Ver-
fassung nun in materieller oder formeller Bedeutung nehmen,
so sind in dem also verengten Staatsrecht eine Menge von
Materien zu erörtern, die mit der Verfassung nichts oder nur
wenig zu tun haben. So z. B. die Lehre von der Sonderstellung
der Mitglieder der Dynastien, von der Ausbildung der parlamen-
tarıschen Geschäftsordnung durch die Kammern, von den öffent-
1912S.207 ff. In der 7. Auflage der Introduction, 1908 p. IX £f., 324 £f., 353,
hat denn Dicey seine früheren Behauptungen nunmehr selbst wesentlich
eingeschränkt. Über den ganzen Streitpunkt außer Koellreutter Hatschek
Englisches Staatsrecht II 1906 S. 649 ff.
1) Vgl. jetzt O.Maver I S.18ff, der aber in der Forderung der
Verselbständigung des Verwaltungsrechts zu weit geht, wie ganze staats-
rechtlichen Untersuchungen gewidmete Partien seines Werkes beweisen.
S. auch meine Besprechung Mayers im Verwaltungsarchiv V (1897)
S. 104 ff.
2) And. Ans. Spiegel a.a.0. S.70.