Full text: Allgemeine Staatslehre

Erstes Kapitel. Die Aufgabe der Staatslehre. ii 
zwei Gesichtspunkten, unter denen der Staat betrachtet werden 
kann. Der Staat ist einmal gesellschaftliches Gebilde, sodann 
rechtliche Institution. Dementsprechend zerfällt die Staatslehre 
in die soziale Staatslehre und in die Staatsrechts- 
lehre. Die allgemeine Staatslehre insbesondere hat demnach 
zwei Abteilungen: die allgemeine Soziallehre des Staates 
und die allgemeine Staatsrechtslehre. 
Die allgemeine Staatsrechtslehre, d. h. die Erkenntnis der 
rechtlichen Natur des Staates und der staatsrechtlichen Grund- 
begriffe, ist demnach nur ein Teil der allgemeinen Staatslehre. 
Das Recht ist eine der wichtigsten Seiten des Staates; kein 
Staat ist ohne Recht möglich, aber es ist ein schwerer Fehler, 
der bis auf den heutigen Tag häufig begangen wird, die Staats- 
lehre mit der Staatsrechtslehre zu identifizieren. Dieser Fehler 
rührt von dem historischen Ursprung der modernen Staatslehre 
her. Sie stammt nämlich aus dem XNaturrecht, das nach dem 
Rechtsgrunde des Staates forschte!). Diesen Rechtsgrund setzte 
das Naturrecht nicht selten dem historischen Entstehungsgrund 
gleich und betrachtete demgemäß den Staat ausschließlich als 
ein rechtliches Gebilde. Daher ist eine Unterscheidung zwischen 
Staats- und Staatsrechtslehre in der naturrechtlichen Epoche sehr 
selten zu finden. Nur die Politik als praktische Staatslehre wird 
da von der Staatsrechtslehre als selbständige Disziplin anerkannt. 
In der Literatur der Politik von Machiavell bis auf Montesquieu 
finden sich auch viele theoretische Untersuchungen, die heute 
dem nicht mit der Staatsrechtslehre zusammenfallenden Teile der 
Staatslehre zuzuweisen sind. 
Wenn nun auch die Staatsrechtslehre innerhalb der Staats- 
lehre ein abgegrenztes Gebiet darstellt, so ist sie dennoch nur 
ein Teil des Gesamtgebietes. Staatslehre und Staatsrechtslehre 
sind keine Gegensätze. \Wohl aber muß man systematisch die 
soziale Staatslehre, die den Staat als gesellschaftliches Ge- 
bilde in der Totalität seines Wesens betrachtet, der Staats- 
rechtslehre als dem juristischen Teil der Staatslehre gegenüber- 
stellen. Solche Trennung und Gegenüberstellung ist in dem 
Unterschied der Methoden begründet, die in beiden Gebieten 
herrschen. Eine Vermischung des Rechtlichen mit dem, was vor 
dem Rechte’ liegt, soll daher in einer wissenschaftlichen Dar- 
  
2) Vgl. unten Kap. VI.
	        
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