12 Erstes Buch. Einleitende Untersuchungen.
stellung der Staatslehre nicht stattfinden. Wohl aber ist die Er-
kenntnis des inneren Zusammenhanges beider die gesamte Staats-
lehre darstellenden Disziplinen berufen, einem zwiefachen, folgen-
schweren Irrtum vorzubeugen: dem Glauben, daß die einzige
richtige Erklärungsart des Staates die soziologische, historische,
politische, kurz: die nicht-juristische sei, und der entgegengesetzten
Überzeugung, daß der Jurist allein dazu berufen sei, mit seinen
Forschungsmitteln alle Rätsel zu lösen, die mit den staatlichen
Phänomenen verknüpft sind).
Aber auch für die ersprießliche Untersuchung der staatsrecht-
lichen Probleme ist die Erkenntnis des Zusammenhanges von
sozialer Staatslehre und Staatsrechtslehre von der höchsten Be-
deutung. Eine umfassende Staatslehre ist die Grundlage aller
theoretischen Erkenntnis vom Staate. Alle Untersuchungen, die
nichi auf diesem umfassenden Fundament aufgeführt sind, führen
notwendig zu schiefen und einseitigen Resultaten. \enn daher
auch die Staatsrechtslehre die rechtliche Seite des Staates isoliert,
um zu deren gründlicher Erkenntnis zu gelangen, so muß sie
doch von Prinzipien ausgehen, die einer allseitigen Erkenntnis
des Staates entsprungen sind. In den Svstemen des Staatsrechts
ist cs bis auf den heutigen Tag die Regel, allgemeine Lehren
vom Staate an die Spitze der Untersuchung zu stellen, die, nach
Art von Dogmen behauptet, uns nicht verraten, woher sie kommen,
die aber um so bedeutsamer sind, als aus ihnen die wichtigsten
Schlüsse gezogen werden. Bei dem überwiegend deduktiven
Charakter der juristischen Untersuchungen sind in vielen Fällen
die Resultate durch jene dogmatischen Sätze bereits a priori
festgestellt. Alles Schiefe, Einseitige, Widerspruchsvolle ın den
herrschenden staatsrechtlichen Anschauungen ist nicht zum ge-
ringsten Teile auf ıhre unrichtige oder ungenügende Fundierung,
auf bestimmte Sätze der Staatslehre zurückzuführen.
ı) Von einer juristischen Methode der Staatswissenschaft spricht
Wundt, Logik, 3. Aufl. III 1908 S.526ff, ebenso neuestens Des-
landres, La crise de la science politique et le probleme de la me£thode.
Parıs 1902, mit ungenügender Kenntnis der Stellung der heutigen deut-
schen Staatsrechtslehre zur Politik. Die Identifizierung von Staatswissen-
schaft und Staatsrecht war einer der hervorragendsten Irrtümer vieler
Naturtechtsiehrer. Heute aber gibt es keinen Juristen, der die Gesamtheit
der staatlichen Erscheinungen für juristische hielte: mindestens der
Gegensatz des Politischen zum Rechtlichen wird von jedem anerkannt.