408 Drittes Buch. Allgemeine Staatsrechtslehre.
Staat. Kein Rechtsband würde solche Tausende von Sklaven, die
von ihrer gegenseitigen Existenz keine Ahnung zu haben brauchen,
miteinander verknüpfen. Wenn die antike Staatslehre die Er-
scheinung des Staates auf freie Menschen beschränkt, so hat sie
darin eine Ihrer trefflichsten Wahrheiten ausgesprochen. Nur
unter Freien, führt Arıstoteles weiter aus, ist ein Recht
im politischen Sınne möglich, und ohne dieses Recht gibt es
keinen Staat).
Das Volk in seiner subjektiven Qualität bildet vermöge der
Einheit des Staates eine Genossenschaft, d. h. alle seine Indi-
viduen sind miteinander als des Staates Genossen verbunden,
sie sind Mitglieder des Staates. Der Staat ist somit zugleich
herrschaftlicher und genossenschaftlicher Verband. Das herr-
schaftliche und genossenschaftliche Element ist in der staatlichen
Körperschaft zur notwendigen Einheit verknüpft. Vermöge der
Herrschaft der Staatsgewalt ist das Volk Objekt des Imperiums
und besteht in dieser Richtung aus lauter Subordinierten, vermöge
der gliedlichen Stellung der Individuen in ihrer Eigenschaft als
Elemente des Staates als Subjektes hingegen aus lauter Koordi-
nierten. Die Individuen als Objekt der Staatsgewalt sind Pf£licht-
subjekte, als Glieder des Staates hingegen Rechtssubjekte.
Die Rechtssubjektivität besteht dem Staate gegenüber?).
Sie äußert sich durch die staatliche Anerkennung der gliedlichen
Stellung des Individuums in der Volksgemeinschaft. Die aber
schließt in sich die Anerkennung des Menschen als Person,
d. h. als eines mit einer Sphäre öffentlicher Rechte ausgestatteten
Individuums. Das ıst das Resultat der gesamten Kulturentwicklung,
daß im modernen Staate jeder Mensch, der irgendwie der Staats-
gewalt untertan ist, zugleich auch ihm gegenüber Person ist. Ist
daher auch heute noch die volle gliedliche Stelle des Individuums
im Staate von der dauernden Zugehörigkeit zu ihm abhängig, so
wird dennoch auch der vorübergehend fremder Staatsgewalt Unter-
worfene nicht nur als subditus, sondern auch als civis temporarius
betrachtet, der nicht nur öffentliche Pflichten, sondern auch öffent-
liche Rechte hat.
Die Zugehörigkeit des einzelnen zum Volke äußert sich also
in dem Dasein einer vom Staate anerkannten Sphäre des öffent-
1) Eth. Nic. V 10,1134a.
2) Vgl. zum folgenden die betreffenden lartien meines Systems d.
sub). öff. Rechte.