Full text: Allgemeine Staatslehre

410 Drittes Buch. Allgemeine Staatsrechtslehre. 
Hause aus als Träger von Rechten, die nicht erst aus einer Ge- 
währung des Staates abzuleiten sind. Das ist nun auch der Fall 
mit den Landesfreiheiten, den Rechten, welche dem regnum und 
damit den Angehörigen des regnum gegenüber dem Könige zu- 
stehen!). Die Freiheitsbriefe sind gleichsam Friedensschlüsse 
oder Bezeugungen eines modus vivendi zwischen König und Land. 
Es sind vertragsmäßige Beziehungen, die zwischen beiden Staats- 
teilen vorwalien und beiden Forderungsrechte gewähren. Daß 
diese Rechte anderer Art als die Privatrechte seien, bleibt dem 
germanischen Rechtsgedanken fremd, daher dasjenige Recht, das 
sich am meisten von romanistischen Einflüssen freigehalten hat, 
das englische, niemals aus sich heraus zu der strikten Scheidung 
von öffentlichem und Privatrecht gelangt ist. 
Der absolute Staat hat das Ziel, jene ursprüngliche indi- 
viduelle Berechtigung gänzlich zu vernichten. Er vermag aber 
nicht das Bewußtsein von der Priorität des individuellen Rechtes 
völlig zu zerstören. Selbst die Theoretiker des Absolutismus 
können das unbeschränkte Recht des Monarchen nur aus der 
Übertragung des ursprünglichen Rechtskreises des Individuums 
auf den Staat ableiten; auch für die nicht mit den hergebrachten 
theologischen Argumenten arbeitenden Gegner der mittelalterlichen 
dualistischen Staatslehre bleibt die Priorität des Individualrechtes 
vor dem Rechte des Herrschers bestehen. 
Der christliche Staat hatte aber von Haus aus beschränkte 
Zuständigkeit. An den religiösen Forderungen der Kirche fand 
er eine unübersteigliche Schranke. Schon in den ersten Zeiten 
des Christentums wird die Freiheit des religiösen Gewissens von 
einengenden staatlichen Geboten behauptet?). In dem gewaltigen 
Kampfe, den Staat und Kirche ım Mittelalter führen, geht des 
Staates Bestreben doch niemals dahin, das ius in sacra gleich 
dem altrömischen ius sacrum in einen Teil seiner Rechtsordnung 
zu verwandeln. Wenn er Glaubenszwang übte, tat er es nicht 
in eigenem Namen, sondern in Erfüllung kirchlicher Pflichten. 
  
1) In den alten englischen Freiheitsbriefen finden wir als Subjekt 
der iura et libertates bald die „homines in regno nostro“, bald das 
regenum selbst. Vgl. G.Jellinek Die Erklärung der Menschen- und 
Bürgerrechte S. 31 N.1. 
) Vgl. v.Eicken Gesch. u. Syst. d. mittelalterl. Weltanschauung 
1857 S. 121.
	        
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