425 Drittes Buch. Allgemeine Staatsrechtslehre.
schenden Macht notwendig?!). Das trifft für alle nichtherrschenden
Verbände zu, nicht etwa nur für jene, in die man freiwillig
eingetreten ist. Das zeigt sich am deutlichsten in der Stellung
des mächtigsten nichtstaatlichen Verbandes — der katholischen
Kirche — zu seinen Mitgliedern. Nach katholischer Lehre be-
gründen Taufe und Ordination einen character indelebilis des
diese Sakramente Empfangenden. Wenn aber der Staat die ÜUn-
ıöglichkeit des Austrittes aus der Kirche und dem Priester-
stande nicht sanktioniert, so fehlt der Kirche jedes Mittel, ihren
Normen gegenüber dem aus ihr Ausscheidenden oder in den
Laienstand Zurückkehrenden Geltung zu verschaffen. So groß
die Macht der Kirche über ihre Glieder ist, rechtlich erscheint
sie heute nicht mit Herrschergewalt ausgerüstet, es sei denn,
daß der Staat ihr seinen Arm leiht.
Soweit daher auch eine einfache Verbandsgewalt mit ihren
Befehlen gehen mag, sie hat an dem sich freiwillig fügenden
Willen der Verbandsmitglieder eine Grenze für die Möglichkeit
selbständiger Durchführung ihrer Normen. Es ist möglich, Jdaß
sie ein ganzes System von Rechtssätzen für ihre Mitglieder auf-
stellt, daß sie in weitem Umfange Strafen festsetzt: wer sich
Recht und Strafe nicht unterwerfen will, kann von ihr nicht dazu
gezwungen werden. Die Mittel, die ihr zur Sanktionierung ihrer
Vorschriften zu Gebote stehen, sind bloß disziplinarer Art. Ihre
Gewalt ist Disziplinargewalt, nicht Herrschergewalt.
Solche Disziplinargewalt findet sich bereits bei einer großen
Zahl rein privatrechtlicher Verhältnisse zwischen Einzelpersonen.
Sie tritt überall auf, wo dauernde Rechisverhältnisse begründet
werden, die nicht bloß wirtschaftliche Leistungen zum Inhalt
haben; man denke nur an die Lehrlinge, das Gesinde, die
Fabrikarbeiter, die Schiffsmannschaft, deren Beziehungen zum
Lehrherrn, Dienstgeber, Schiffer stets auch ein ethisches Moment
haben?). Zur Regulierffng und ihrem Zweck entsprechenden
1) Vgl. B.G.B. $39: Die Mitglieder sind zum Austritt aus dem
Vereine berechtigt. — Durch Satzung kann bestimmt werden, daß der
Austrilt nur am Schlusse eines Geschäftsjahres oder erst nach dem
Ablauf einer Kündigungsfrist zulässig ist; die Kündigungsfrist kann
höchstens zwei Jahre betragen.
?) Treffliche Ausführungen hierüber von Emil Steinbach, Erwerb
und Beruf 1896 S. 24 ff. und Rechtsgeschäfte der wirtschaftlichen Organi-
sation 1897 S.L ff.