Full text: Allgemeine Staatslehre

Erstes Kapitel. Die Aufgabe der Staatslehre. 15 
kritisch untersucht werden. Ob Handlungen geschichtlicher Per- 
sonen entweder den ihnen vorgesetzten oder einen anderen wert- 
vollen Zweck erreicht oder verfehlt haben, gehört auch in das 
Gebiet politischer Betrachtungsweise. Untersuchungen über die 
Wirkungen der perikleischen Demokratie auf die Fort- oder 
Rückbildungen des athenischen Staatswesens oder der sullanischen 
Diktatur auf den Untergang der römischen Republik haben nicht 
minder den Charakter politischer Forschung wie ein Versuch, 
den Einfluß des allgemeinen Wahlrechts auf das künftige Leben 
des Deutschen Reiches zu bestimmen. Darum ist jede pragma- 
tische geschichtliche Untersuchung zugleich auch eine politische). 
Der, wenn auch oft unausgesprochene letzte Zweck solcher nach 
rückwärts gewendeten politischen Betrachtung liegt allerdings 
auch in der Zukunft, denn nicht nur um ihrer selbst willen, 
sondern um Regeln für das Handeln in ähnlichen Fällen zu ge- 
winnen, wird sie unternommen. Darum ist die Politik nicht eine 
Lehre vom Seienden, sondern vom Sein-sollenden. 
Ist nun auch die Politik ihren Zielen und ihrer Methode 
nach von sozialer Staats- und Staatsrechtslehre durchaus zu 
trennen, so ist anderseits bei dem inneren Zusammenhang aller 
Gebiete einer Wissenschaft die praktische Disziplin von hoher 
Bedeutung für gedeihliche Behandlung der theoretischen. Sowohl 
die ruhende Staatsordnung, welche die soziale Staatslehre, als 
auch die Rechtsregeln jener Ordnung, welche das Staatsrecht zu 
untersuchen hat, bedürfen zu ihrer allseitigen Erkenntnis er- 
gänzender politischer Betrachtung. In der Wirklichkeit der Er- 
  
1) Terminologisch ist übrigens das Adjektiv „politisch“ lange nicht 
so scharfer Begrenzung fähig wie das Substantiv „Politik“. Unter 
„politisch” wird nämlich auch die ganze soziale, kurz: die gesamte 
nicht-juristische Betrachtungsweise staatlicher Dinge verstanden. Der 
Politik läßt sich die Staatislehre gegenüberstellen, aus letzterem Wort 
aber ist kein entsprechendes Adjektiv zu prägen. Darum ist der Gebrauch 
des Wortes „politisch“ sowohl in einem engeren Sinne, von dem im Text 
die Rede ist, als auch in dem hier erörterten weiteren kaum zu ver- 
meiden, um so mehr als die Bezeichnung „sozial“ für die nicht- 
juristische Seite des Staates wegen ihrer Vieldeutigkeit häufig zu Miß- 
verständnissen Anlaß geben würde. Bei solchem leider unaufhebbarem 
Mangel der Terminologie ist es aber wichtig, daß der Schriftsteller sich 
stets klar ist, in welchem Sinne er jedesmal die Prädikate „sozial“ und 
„politisch“ gebraucht, Über die mannigfaltige Bedeutung von „politisch“ 
vgl. auch Rehm Allg. Staatslehre S.8f. u. Handb. d. Pol. I S. 10£.: 
W. van Calker in der Ztschr. f. Politik III 1910 S. 286f.
	        
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