Full text: Allgemeine Staatslehre

Vierzehntes Kapitel. Die Eigenschaften der Staatsgewalt. 441 
Im Kampfe mit diesen drei Mächten ist die Vorstellung der 
Souveränetät entstanden, die ohne Kenntnis von diesem Kampfe 
unverständlich bleibt. Die Souveränetät ist, der Ausdruck sei 
gestattet, ein polemischer Begriff, zunächst defensiver, im weiteren 
Verlaufe aber offensiver Natur. 
Im Kampfe zwischen Staat und Kirche treten drei Ansichten 
im Laufe des Mittelalters hervor. Der Staat ist der Kirche 
unterworfen, der Staat ist der Kirche gleichgestellt, der Staat 
steht über der Kirche. Die Zweischwertertheorie vertritt in ihren 
beiden Nuancen die zwei ersten Lehren, zu der ım Anfange des 
14. Jahrhunderts die dritte hinzutritt. In der letzteren Epoche 
hatte aber Frankreich den Gedanken von der Obermacht des 
Staates in historische Tat umgesetzt. Das avignonsche Papsttum 
stellte zum ersten Male seit der Zeit der Ottonen die Superiorität 
des Staates über die Kirche sichtbar dar. Nicht in dem Kampfe 
des Kaisers mit dem Papste, sondern in dem Verhältnis des 
französischen Königs zum Oberhaupte der Kirche ist der Ursprung 
des Souveränetätsbewußtseins der weltlichen Macht zu suchen. 
Die politische Literatur, eng von den Banden der Scholastik um. 
fangen, hat bıs zu dem Vorstoße, den der französische König 
Ende des 13. Jahrhunderts gegen Rom führt, vornehmlich den 
Gegensatz von Sacerdotium und Imperium vor Augen, als den der 
geistlichen und weltlichen Macht schlechthin, nicht den des 
Papsttums zu einem individuell bestimmten Staate, da ja die 
Reichsidee die Staatsidee von vornherein negierte. Die beginnende 
Jurisprudenz hat in ihren publizistischen Erörterungen nicht die 
vorhandene politische Welt, sondern die offizielle kirchliche 
Theorie zur Grundlage, und wenn sie sich auch späterhin mehr 
den realen Verhältnissen zuwendet, so wird sie einmal durch Re- 
spektierung der niemals ganz außer acht zu lassenden kirchlich- 
politischen Doktrin, sodann aber durch den ganzen weltflüchtigen 
Zug der mittelalterlichen Wissenschaft, die den Wirklichkeitssinn 
nur in engen Schranken sich betätigen ließ, daran gehindert, 
eine selbständige Lehre vom Staate zu entwickeln. Zudem fehlt 
der ganzen mittelalterlichen Staatslehre die klare Erkenntnis der 
Staatsgewalt als eines wesentlichen Staatselementes!), und damit 
allein ist ihr der Weg zur Erkenntnis der rechtlichen Eigenart 
des Staates verschlossen. 
  
1) Den Nachweis hiervon bei Rehm Geschichte S. 188ff.
	        
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