Full text: Allgemeine Staatslehre

Vierzehntes Kapitel. Die Eigenschaften der Staatsgewalt.e A5l 
Staat, sondern ein mit der Wirklichkeit (unter Friedrich IIl.!) 
grell kontrastierendes ideales Gebilde, dem die höchste Gewalt 
beigelegt wird. 
Die große Umwandlung im Innern der Staaten kann aber 
von den allgemeinen staatsrechtlichen Anschauungen der Zeit aus 
gar nicht begriffen werden. Das Feudalsvstem, das Jahrhunderten 
staatlicher Entwicklung seinen Stempel aufgeprägt hat, wird 
von der großenteils auf die Ansprüche halb- oder mißver- 
standener Autoritäten gestützten offiziellen Staatslehre fast ganz 
außer Acht gelassen, höchstens daß sich hie und da einmal ein ge- 
legentlicher Hinweis darauf findet, der aber ganz an der Ober- 
fläche zu haften pflegi. Aus der politischen Literatur des 
12.—15. Jahrhunderts konnte man ruhig den Glauben schöpfen, 
daß das weströmische Reich sich unversehrt in alter Gestalt er- 
halten habe. .Auch diese Ignorierung des Tatsächlichen hat aller- 
dings ıhre bedeutsamen politischen Wirkungen gehabt. Jene von 
der herrschenden Theorie nicht beachteten oder doch nicht richtig 
aufgefaßten feudalen Gewalten werden entweder durch ihre 
Ignorierung zu einer nicht weiter zu respektierenden theoretischen 
Bedeutungslosigkeit herabgedrückt, oder sie werden dem idealen 
Staatsbilde als untergeordnete und daher vom Staate zu be- 
herrschende Mächte eingefügt. So bietet denn auch die ideale, 
immer weltfremder gewordene Lehre vom Imperium, dem nur 
das als einheitlich zu denkende Volk gegenübersteht, dem Kampfe 
des Königtums mit den Ständen eine nicht zu unterschätzende 
Stütze. 
Aber nicht auf dem Boden der allgemeinen Lehre, sondern 
auf dem festen Grunde des französischen Staatsrechts 
bildet sich die neue, gegenüber mittelalterlicher Verschwommen-- 
heit klare Lehre vom Staate und seiner Gewalt aus. Der 
Humanismus bereits überwindet die mittelalterliche Theorie von 
der Einheit von Kirche und Reich; nicht mehr kraft eines 
Privilegs oder vermöge der faktischen Verhältnisse, sondern kraft 
eigenen und ursprünglichen Rechtes erscheint der König von 
Frankreich als niemandes Untertan. Später tritt die Reformation 
hinzu, um die alte Lehre von der ÖOberhoheit des Imperiums 
gänzlich zu vernichten. Das 16. Jahrhundert zeitigt nunmehr 
eine Theorie vom französischen König, welche die Tendenzen 
der Legisten fortsetzt und ihn an die erste Stelle unter den 
christlichen Monarchen rückt. Namentlich unter Franz I. ist es 
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